Die Farbe der Luft (Egmont)

Juli 14, 2015

Die Farbe der Luft (Egmont)

Enki Bilal, in Serbien geboren und in Paris lebend, gehört zu Europas Comic-Elite. Er machte erstmals in den 70ern durch intelligente Polit-Thriller auf sich aufmerksam, die von Starautor Pierre Christin (Valerian & Veronique) geschrieben wurden (u.a. Der Schlaf der Vernunft, Treibjagd). Noch während dieser Phase begann Bilal auch als Zeichner UND Autor in Personalunion zu arbeiten. Es entstanden anspruchsvolle SF-Comics, von denen die Alexander Nikopol Trilogie am bekanntesten ist und mit der er seinen endgültigen Durchbruch in die erste Comic-Riege schaffte. Die eigenwillige Mischung aus Science Fiction und ägyptischer Mythologie wurde auch für das Kino adaptiert. Von Bilal selbst. Der Film heißt Immortal und ist ein ambitioniertes, visuell interessantes, aber auch blutleeres Werk, das leider kaum in Fahrt kommt. Comic-technisch blieb Bilal dann doch konstant auf einem ganz anderen Niveau. Nach seiner Monster-Tetralogie schließt er mit ‚Die Farbe der Luft’ nun nach ‚Animal’z’ und der Shakespeare Variation ‚Julia & Roem’ seine aktuelle Science-Fiction Endzeit-Trilogie ab. Jeder Band behandelt ein Element als Motiv: nach Wasser und Erde ist nun die im Titel genannte Luft dran (Feuer bleibt außen vor). Daneben führt der Abschlussband die handelnden Personen zum großen Finale zusammen:

Blutsturz nennen die Menschen die globale Katastrophe, die durch extremen Klimawandel massive Veränderungen mit sich brachte. Wasser ist knapp, Landmassen sind verschoben und haben sich in Ödnis verwandelt, die Meere sind übersalzen. In diesem unwirtlichen Klima sind drei bzw. vier Gruppen von Menschen unterwegs, die sich später treffen werden, scheinbar ziellos, aber geführt von einer unbekannten Kraft. In einem Zeppelin (namens Garbage – er steckt voller Atommüll) befinden sich Anders und Esther. Das Luftschiff hält einen starren Kurs, mutiert zu einer modernen Arche Noah. Im Wasser treffen wir Kim und Bacon (aus Animal’z) wieder, die sich in einen überschwemmten Bungalow retten, der sich tags darauf auf wundersame Weise in die Luft erhoben hat, mit unbekanntem Ziel. An Land befinden sich Ana und Lester. Sie begegnen Julia, Roem und Lawrence (aus Julia & Roem), die seit Tagen einer pfeilförmigen Wolke folgen. Auch der Fels, auf dem die Landgruppe übernachtet, löst sich und steigt in die Luft. Schließlich treffen alle ‚schwebenden’ Gruppen aufeinander, während sich der Planet Erde selbst reinigt und eine neue Ordnung schafft.

Ja, das klingt in der Tat alles recht seltsam und verlangt dem Leser so einiges ab. Sicher, Bilal hat eine blühende, imponiernde Fantasie – das wissen wir spätestens seit seinen Alexander Nikopol Alben. Müll-Zeppeline, Hybrid-Delfine, fliegende Wale, die ganzen Zitate – alles skurille Ideen, die der Leser erst einmal schlucken muss, und die wie selbstverständlich einfach so passieren, ohne Vorwarnung oder Erklärung. All das, das ganze Geschehen, also die Handlung, passiert auch seltsam blutleer (hatten wir ja schon beim Immortal Film). Die Protagonisten sind gefühlskalt, lassen die Handlung über sich ergehen, beschreiben die Situation, kommentieren sachlich. Keine Emotion. Langweile als Stilmittel, als Stilmerkmal? Oder doch Faszination?

Dann wird auch die Ursache des Blutsturzes klar: die Erde reinigt sich selbst, erschafft sich und die Gesellschaft, die an ihr so lange Raubbau betrieb, neu. Die beinahe monochromen Zeichnungen werden plötzlich bunt, als massiver Kontrast – was den Personen auch bewußt wird. Tristesse weicht der Farbe. In gleichem Maße wie die Seiten, bzw. die Welt bunt wird, verlieren die Protagonisten ihre Identität. Sie verlieren ihr Wissen, vergessen ihre Namen. Ihr Gedächtnis scheint zu rebooten. Alles auf Anfang, neu und unbelastet. Denn sie sind die Auserwählten. Eine neue, gereinigte Welt entsteht, verursacht durch die Erde selbst. Dass Vulkane alles Schlechte einsaugen (symbolisch dafür den Atommüll-Zeppelin), sogar Waffen und Raketen, scheint dabei schon etwas dick aufgetragen. Was soll man also von ‚Die Farbe der Luft’ und seinen Vorgängern halten? Von der seltsam nihilistischen Atmosphäre, die gleichsam fasziniert und abstößt? Auf das rein Inhaltliche reduziert ist die Story recht banal und reiht sich nahtlos in den Reigen postapokalyptischer Endzeit-Szenarien ein. Das Salz in der Suppe sind die Bilal’schen Zutaten, die es dann doch rausreißen: die bereits erwähnten Ideen und Gadgets, die die Story anreichern und dann natürlich die Zeichnungen, großflächig (2-3 Panels pro Seite) immer leicht skizzenhaft, aber stets mit sicherem Strich. Erst grau in grau, dann am Ende erstaunlich bunt. Bilal macht halt anspruchsvolle Comic-Kunst. Und die ist nicht immer leicht verdaulich. (bw)

Die Farbe der Luft
Text & Bilder: Enki Bilal
96 Seiten in Farbe, Hardcover
Egmont Comic Collection
24,99 Euro

ISBN: 978-3-7704-3782-5

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