Im Eisland, Band 1 (Hinstorff)

Mai 7, 2015

Im Eisland, Band 1 (Hinstorff)

Polarexpeditionen waren bis in das vergangene Jahrhundert hinein die letzten Reisen in Terra Incognita, in noch unberührte und nicht kartographierte Landmassen. Und verbunden mit diesen Expeditionen waren stets wagemutige Pioniere und große Dramen. Das berühmteste davon ist Scotts fatales Scheitern am Südpol, das glücklichste Shackletons mißlungene Endurance-Unternehmung. Aber kein polares Vorhaben scheiterte so gründlich und kostete so viele Menschenleben wie die Franklin-Expedition, die 1845 in die Arktis startete, mit dem Ziel die legendäre Nordwestpassage (den nördlichen Seeweg zwischen Europa und Asien) zu finden und zu durchqueren. Alle 129 Teilnehmer starben, ihr Schicksal ist noch immer nicht ganz geklärt… ein Scheitern, das bis heute noch ein Thema ist – aber dazu gleich mehr.

‚Im Eisland‘ beginnt (nach einem Prolog) mit den Vorbereitungen auf die Expedition, die besser vorbereitet und moderner ausgerüstet sein will als alle vorherigen. Die beiden Schiffe HMS Erebus und HMS Terror sind beheizt, es gibt eingebaute Dampfmaschinen, die Verpflegung wird in Konservendosen geliefert. Das Kommando hat Sir John Franklin, mit 59 Jahren schon recht alt, aber eben erfahren – auch was Arktis-Reisen betrifft. Der junge John Torrington heuert als Oberheizer an und ist wie viele seiner Mannschafts-Kollegen abenteuerlustig und baut ganz auf die Stärke des viktorianischen Empires. Unerschütterliches Vertrauen, gepaart mit einer gewissen Überheblichkeit. Schließlich winken Ruhm und Ehre. Bald laufen die Erebus und die Terror Richtung Grönland aus, begleitet von Versorgungsschiffen. Man schreibt letzte Briefe, ist vergnügt und zuversichtlich. Auch sein Husten scheint John nicht weiter zu stören. Wir lernen Francis Crozier kennen, Kapitän der Terror, einen erfahrenen irischen Seemann, der aufgrund seiner Herkunft nur zweithöchster Offizier sein darf und mit einer nicht erwiderten Liebe hadert. Auch das Überwintern bei der kleinen Beechey Insel läuft noch nach Plan. Man richtet sich ein, feiert ein opulentes und ausgelassenes Weihnachts- und Neujahrsfest. Zweifel kommen höchstens am Rande oder in Form dunkler Vorahnungen auf. Inzwischen ist Torrington schwer krank. Sein Husten entpuppt sich als Schwindsucht…

Die Graphic Novel überrascht in mehrfacher Hinsicht. Zum einen durch das ungewöhnliche, historische Thema, das – zum anderen – von einer Deutschen Künstlerin aufbereitet wird. Und das in gleich drei Bänden, die dazu noch in flottem Tempo erscheinen werden (Herbst 2015 und Frühjahr 2016). Für ihre erste Graphic Novel wählte Kristina Gehrmann keinen realistischen Zeichenstil, sondern orientierte sich vielmehr am Manga. Das wird bei den Gesichtern deutlich wie bei der Verwendung von Rastern. Trotzdem sind die Bilder voller historischer Details und zeugen von einer akribischen Recherche, nicht nur was die Expedition an sich und die Umstände des Scheiterns, sondern auch was zeitgenössische Kleidung, Technik und das ganz normale Leben an Bord von Schiffen im Jahre 1845 betrifft. So wird viel gelesen (beide Schiffe verfügten über eine beachtliche Bibliothek) und unterrichtet. Man vertreibt sich die Zeit mit Gesang und selbst verfassten Theaterstücken. Der Umgangston ist freundlich, auch zu hierarchisch höher gestellten Teilnehmern. Franklin selbst bleibt (bisher) mehr im Hintergrund, erinnert an einen ‚guten Onkel‘. Der Fokus richtet sich auf John Torrington und den erfahrenen Kapitän Crozier. Bei all diesen Details beschränkt sich die Autorin dankbarerweise nicht auf eine bloße dokumentarische oder rekonstruierte Wiedergabe der Ereignisse. Sie haucht den Figuren Leben ein, gibt ihnen einen Hintergrund und eine Geschichte und schafft so emotionale Bindungen zwischen Leser und Charakteren. Und das, ohne die historischen Details zu verbiegen. Folglich entsteht als Ergebnis eine Geschichtsstunde in Form einer hoch interessanten Erzählung. Was will man mehr!?

John Torrington, einer der Hauptpersonen dieses Bandes, war der erste Tote der Expedition. 1984, fast 140 Jahre nach seinem Tod, beschäftigte er noch einmal die Schlagzeilen, als seine durch Permafrost konservierte Leiche obduziert wurde (was Iron Maiden zu ihrem Song ‚Stranger in a Strange Land‘ inspirierte). Und erst im vorigen Jahr wurde öffentlichkeitswirksam die Ortung und Identifizierung der Erebus auf dem Meeresgrund verkündet. Die Franklin Expedition und die gewisse Faszination ihres Scheiterns beschäftigt die Medien also noch immer. Wir sind gespannt auf Band 2, wenn die bekannten Fakten der Expedition dünner werden und das Drama endgültig seinen Lauf nimmt. (bw)

Im Eisland, Band 1: Die Franklin-Expedition
Text & Bilder: Kristina Gehrmann
224 Seiten in Schwarz-Weiß, Softcover, Buchformat
Hinstorff Verlag
16,99 Euro

ISBN: 978-3-356-01901-8

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