Vasmers Bruder (Carlsen)

April 10, 2014

Vasmers Bruder

Martin Vasmer sitzt in Ziebice in Polen im Knast. Ziebice liegt in Schlesien, hieß früher Münsterberg und gehörte zu Deutschland. Und dort wütete bis 1924 einer der berüchtigtsten Serienkiller der deutschen Kriminalgeschichte: Karl Denke. Er tötete mindestens 30 Menschen, meist Landstreicher. Er zerstückelte sie, aß sie, verarbeitete ihre Haut zu Riemen. Würg. Und genau über den sollte Martins Bruder Hans-Georg für eine TV-Dokumentation recherchieren. Vor Ort. Doch der Bruder ist spurlos verschwunden. Martin erhielt nur wirre Textnachrichten per Handy. Also macht er sich auf, Hans-Georg in Ziebiece zu suchen. Dort muss er sich natürlich auch mit Karl Denke und dessen Verbrechen beschäftigen. Mehr als ihm lieb ist. Doch wieso findet sich Martin im Gefängnis wieder?

Schwarz wie die Nacht. Die Handlung. Die Zeichnungen. Anders als bei Haarmann, Peer Meters andere Mördergeschichte bei Carlsen, spielt hier die Handlung meist in der Gegenwart, mit Rückblenden zu Karl Denke und dessen „Entdeckung“. Das mag auch daran liegen, dass über Denke bzw. über dessen Motive und die Tathergänge wenig bekannt ist. Denn Denke erhängte sich kurz nach der Festnahme in seiner Zelle und entzog sich somit nicht nur den Ermittlungen, sondern auch der Sensationspresse, die durch den Fall Haarmann gerade Bekanntschaft mit einem weiteren kannibalischen Serienkiller machte. So irrt Martin Vasmer durch finstere Panels, Gesichter bleiben unscharf (das seiner Gastgeberin Hanna Jablonska sieht man nie ganz) und wird mehr und mehr von dem Kannibalen Karl Denke vereinnahmt. Auch dank des dubiosen örtlichen Rechercheurs Adam Sadowski, der schon fast fanatisch den Fall untersucht und seine Begeisterung über schreckliche Funde und Mord-Reliquien nicht verhehlen kann. Die Zeichnungen zeigen viele Details, man denkt dabei oft an verfremdete oder bearbeitet Fotografien. Licht und Schatten (vor allem letzteres) sind geschickt eingesetzt und erzeugen eine unheilvolle Atmosphäre, die an alte Filme erinnert, an grobkörnige Kopien von Fritz Langs M (auch an die Comic-Adaption von Jon J. Muth) oder Spukhaus-Klassiker wie The Cat and the Canary oder The Old Dark House. Dabei macht es keinen Unterschied, in welcher Zeit gerade die Handlung spielt, man ahnt immer, das wird kein gutes Ende nehmen.

Und so endet die Geschichte mit einem Paukenschlag, ganz plötzlich und speit damit den Leser förmlich aus dem Geschehen wieder aus, in das sie ihn mit ihren äußerst düsteren, diffusen Bildern hineingezogen und gefangen gehalten hatte. Es bleiben viele Fragen offen, man grübelt über das soeben er- und durchlebte. Was kann ein Comic beim Leser mehr erreichen?

Fazit: eine in Wort und Bild beeindruckende Schauer-Mär im Graphic Novel Format aus deutschen Landen, von internationalem Format. Künstlerisch anspruchsvoll, durchdacht und eigenständig. Schrecklich schön, schön schrecklich. (bw)

Vasmers Bruder
Text: Peer Meter
Bilder: David von Bassewitz
176 Seiten in schwarz-weiß, Hardcover
Carlsen Verlag
17,90 Euro

ISBN: 978-3-551-72969-9

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