Irgendwann wachst du auf und bist tot. Aber dass der Elitesoldat Ian McGilles ausgerechnet in dem tiefsten Schlund der Hölle erwacht, hätte er sich nie träumen lassen. Seine dortigen Mitgefangenen sind illustre Mörder der Geschichte. Vom Nazi Hermann Fegelein über Jack the Ripper bis zur römischen Giftmischerin Lucusta ist alles vertreten, was berüchtigt ist – oder war. Dennoch tut man sich wegen eines gemeinsamen Ziels zusammen: Flucht. Flucht aus den furchtbaren unterirdischen Gefängnissen, in denen sie als die Schlimmsten der Schlimmen gehalten werden. Und bestenfalls Flucht zurück in die Welt der Lebenden. Was freilich noch niemandem gelungen ist.
Und dann ist da noch der dämonische Wächter der Unterwelt mit seinen Höllenhunden, der hoch zu Dämonenross den höllischen Death Dealer gibt, der bisher alle und alles wieder fasste, was eine Flucht wagte. Dennoch gehen McGilles und seine Mitstreiter das riskante Unterfangen an. Was hat man denn schon zu verlieren? Obwohl die Gruppe schnell auffliegt und immer weiter dezimiert wird, gibt man nicht auf. Schließlich entdeckt McGilles in einer Karawane ein seltsames Wesen, eine junge Frau mit Flügeln namens Volage, mit der sich alles ändern könnte…
Anders als in seinen älteren Werken, die bisher auf Deutsch exklusiv bei bei Cross Cult erschienen sind, zeichnet der Mexikaner Tony Sandoval hier nach einem Szenario, das er nicht selbst verfasst hat. Autor ist der Belgier Stephen Desberg, den man hierzulande u.a. durch seine langlebige Serie „Der Skorpion“ kennt, die als Enrico Marinis Nachfolger aktuell Luigi Critone zeichnet. Hier gestaltet Tony Sandoval seine Personen realistischer, verglichen mit seinen vorherigen Comics – wir erinnern uns an die charakteristischen überdimensionalen Köpfe beispielsweise in „Wasserschlangen“, gepaart mit der Skizzenhaftigkeit aus „Doomboy“.
Insgesamt kommt „Volage“ visuell schwerer und opulenter daher, auch farblich. Mit beeindruckenden Kreaturen und Höllenlandschaften, die teilweise direkt aus dem Höllensegment von Hieronymus Boschs „Der Garten der Lüste“ entstammen könnten, lässt Sandoval seiner Fantasie ungezügelt Lauf. Die Hölle und ihre apokalyptischen Landschaften sind finster, blutig und gnadenlos, voller Krieg und Ekel. Von ihrer dämonischen „Bevölkerung“ ganz zu schweigen – selbst Elefanten erweisen sich als höllenverzerrte und verdorbene Monstrositäten.
Die Story, die Desberg präsentiert, ist im Prinzip die einer epischen Flucht. In weiten Teilen eine Verfolgungsjagd, ein höllischer Roadmovie, wobei die Protagonisten immer wieder Rückschläge einstecken müssen. Bis auf McGilles sind die Flüchtenden historische Figuren mit einer eindeutigen Vergangenheit, die sie als Höllenbewohner qualifiziert. Darunter noch die Piratin Anne Bonny, der Komponist und Mörder Carlo Gesualdo und Isabella von Kastilien, die 1488 die Inquisition etablierte und damit für zahllose Hinrichtungen verantwortlich war.
Erstaunlicherweise – kleiner Spoiler – scheiden einige dieser vermeintlich illustren Personen plötzlich wie blutig aus dem Geschehen aus, während Volange, die Titelfigur, erst nach 50 Seiten die Handlung betritt. Ian McGilles, der Elitesoldat und der eigentliche Protagonist, der auch als Ich-Erzähler fungiert, überrascht dabei mit einer besonderen Fähigkeit, als er sich einmal mehr dem Kampf stellen muss. Wie später auch seiner eigenen Vergangenheit. Es ist ein Höllenritt, manchmal episodisch und nicht immer schlüssig, aber mit einem würdigen Finale. Denn: Hell is where your heart is. (bw)
Volage – Die Chronik der Unterwelt
Text & Story: Stephen Desberg
Bilder: Tony Sandoval
152 Seiten in Farbe, Hardcover
Cross Cult
30 Euro
ISBN: 978-3-98666-228-8