Spätsommer 1962, ein Badeort an der französischen Atlantikküste. Die Ferien sind fast zu Ende. Während ihre Familien abreisen, bleiben den drei Freunden Francis, Albert und Édouard noch zwei unbeschwerte Wochen, ehe das Studium beginnt, bzw. für Albert die Offizierschule. Sie verbringen die Zeit mit Trinken und am Strand, wo sie eines Nachts unvermittelt auf die hübsche wie geheimnisvolle Odette treffen, die mit ihrer unkonventionellen, aber auch sprunghaften Art nachhaltigen Eindruck bei den dreien hinterlässt. Tage später begegnet Albert ihr erneut und schafft es, sie zu einem gemeinsamen Abendessen mit seinen Freunden einzuladen. Dabei überredet Odette die drei zu einem vermeintlichen Abenteuer, nämlich in eine leerstehende Ferien-Villa einzusteigen. Dort erleben die drei Jungs, v.a. Francis und Édouard eine böse Überraschung, denn Odette gehört zu einer raffinierten Diebesbande…
Albert und Odette spielen die Hauptrollen in der neuen Graphic Novel von Pascal Rabaté, der auf Deutsch bereits bei Carlsen und Reprodukt veröffentlichte. Aber eigentlich ist der alleinige Star die faszinierende und geheimnisvolle Odette, einerseits eine Diebin mit dunklem Familienhintergrund, andererseits unbekümmert und lebensfroh, die offenbar in jeder Beziehung zu nehmen weiß, was sie will. Odette verdreht den dreien den Kopf, nicht ohne Hintergedanken, doch während Francis und Édouard in ihr maximal ein Abenteuer sehen, wird Albert schnell ein stillschweigender Verbündeter von ihr und ihren Leuten. Er beobachtet passiv, erstaunt wie fasziniert den Raubzug und verliebt sich in die junge Dame, die unverhofft dessen Gefühle erwidert. Was das Leben von beiden und v.a. den vorgezeichneten Lebensplan von Albert, in den Grundfesten zu erschüttern droht, soll er doch wie sein Vater eine Offizierslaufbahn einschlagen.
In den unbeschwerten Ferien entsteht so für die aus der Nachkriegsgeneration fast erwachsenen drei Freunde, die dem wohlhabenden Bürgertum entstammen, eine ernste Situation, die Karrieren in Gefahr bringt, welche noch gar nicht begonnen haben – allerdings aus völlig verschiedenen Gründen. Während Francis und Édouard ängstlich versuchen, den richtigen Weg wieder einzuschlagen, lässt sich Albert treiben, bis er eine radikale Kehrtwende beschließt. Der Titel des Bandes ist ein Wortspiel und basiert auf einem Slogan der spätere 68er Bewegung: „Unter dem Pflaster der Strand“ heißt es da. Hier in Pascal Rabatés Geschichte werden noch keine Pflastersteine geworfen. Die althergebrachten gesellschaftlichen Strukturen und damit verbunden deren Zwänge scheinen noch einmal zu greifen. Aber auch Kiesel können schmerzen.
Rabaté, dessen Zeichenstil sehr wandlungsfähig ist, zeigt hier einen klaren Strich, konzentriert sich in gerne ausladenden und großzügigen Panels auf die Personen und deren Gesichter und arbeitet viel mit monochromen Schattierungen und dezenten Farben. Vor allem die Nachtszenen sind mit ihren geschickt eingesetzten Licht- und Schatten-Elementen atmosphärisch dicht gestaltet. Und Odette setzt nicht nur mit ihrem Kleid optische Akzente. Mit ihrem verschmitzten Lächeln, ihrer Direktheit und Unbekümmertheit, sei sie auch teils berechnend und haltsuchend, betört sie nicht nur den Leser. Gegen Ende, als es dramatisch wird, das sei vorweg genommen, scheint der Traum der beiden jungen Liebenden jäh ausgeträumt zu sein. Doch wer weiß das schon? (bw)
Unter den Kieseln der Strand
Text & Bilder: Pascal Rabaté
144 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
29,80 Euro
ISBN: 978-3-96792-289-9
