Generationen von Schülern rätseln seit Menschengedenken, was genau es mit Georg Büchners „Dantons Tod“ denn auf sich haben mag. „Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft“ werden in dem lange Zeit als unaufführbar geltenden Drama in vier Aktien kredenzt, mit einer schier unüberschaubaren Anzahl von Personen und einer politischen Gemengelage, die mit „unübersichtlich“ doch eher zurückhaltend umschrieben ist. Im Kern geht es um den Konflikt zwischen zwei ehemaligen Weggefährten: auf der einen Seite George Jacques Danton, seines Zeichens Justizminister der Ersten Französischen Republik und erster Vorsitzender des so genannten „Wohlfahrtsausschusses“ (das klingt schon sehr nach George Orwell, Aldous Huxley und dem Ministerium der Wahrheit).
Und in der linken Ecke in den roten Hosen Maximilien de Robespierre, führender Jakobiner, ebenfalls Verfechter der wunderschön benannten „Verteidigung der Republik“, also der Schreckensherrschaft nach der französischen Revolution, in der in den Jahren 1793/94 das Guillotinieren von Andersdenken jeglicher Couleur zu einer Art Volkssport in Frankreich wurde. Nachdem sich Danton, ursprünglich selbst Initiator und Wortführer des „Terreur“, von der harten Linie abwandte, geriet er zunehmend mit Robespierre aneinander, kam schließlich selbst unter die Räder und wurde am 5. April 1794 öffentlich hingerichtet (ein Schicksal, das Robespierre schon am 28. Juli desselben Jahres dann auch ereilte – man wundert sich, dass in Paris überhaupt irgendjemand das Jahr 1800 erlebte).
Büchner griff den weidlich bekannten Stoff 1835 auf, was uns in die kurze literarische Epoche des Vormärz führt, in dem Literatur und Kunst als Gegenbewegung zu Restauration und Romantik ganz im Zeichen der Aufklärung, des Liberalismus und erster demokratischer Tendenzen stehen, was schließlich in der Revolution von 1848 kulminierte. Literatur sollte in dieser Zeit nicht den schönen Schein oder ein frommes Ideal verkörpern, wie dies noch Klassik und Romantik postulierten, sondern einen klaren gesellschaftlichen Auftrag erfüllen und dafür auch in die Historie greifen, wie Büchner dies selbst verlangte – keine ästhetischen Kunstgebilde solle die Literatur zeigen, sondern das Ziel verfolgen, „der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nah, als möglich zu kommen“.
Den Konflikt des einstigen Revolutionsführers, der der Verlockung des Totalitarismus kurz verfällt, sich dann abwendet und selbst überrollt wird, brachte Büchner daher mit wortreichen Passagen zu Papier, die in weiten Teilen aus den Aufzeichnungen und Reden der historischen Protagonisten stammen. Dargestellt ist in einer ganz und gar anti-klassischen, offenen Form der Zeitraum vom 24. März bis Dantons Hinrichtung am 5. April 1794, in der Büchner Episoden aus privaten Treffen, Reden im Nationalkonvent und einer zentralen Konfrontation von Danton und Robespierre aneinanderreiht – gespickt mit massiven Attacken auf Heuchelei und Doppelmoral, die Danton vor allem dem als „unbestechlich“ geltenden Robespierre vorwirft.
Was auch uns als Eleven und Theatergänger mit vielen Fragezeichen zurückließ (wir merken uns im Nachhinein mal kursorisch: anti-Romantik, anti-Despotismus, Realismus, politischer Liberalismus und gezielte Provokation des Establishments – und für die heutige Zeit relevant: Rufmord, fake news und blinder politischer Wahn), das packt der Gießener Andreas Eikenroth hier in seiner „grafischen Inszenierung“ virtuos in eine Revue der zentralen Szenen, in denen die zentralen Schlüsselsätze – von „Die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eigenen Kinder“ bis hin zu Dantons fatalem Fehlurteil „Sie werden‘s nicht wagen“ – ebenso enthalten sind wie die messerscharfen Wortgefechte und beißende Gesellschaftssatire der Vorlage.
Büchner-Veteran Eikenroth, der uns auch schon grafische Versionen von „Woyzeck“ und „Lenz“ servierte, setzt das Geschehen optisch einigermaßen stilisiert in Szene, in einem fast an Karikaturen gemahnenden, farblich knalligen Duktus, der dem im besten Sinne revolutionären Inhalt der Vorlage durchaus gut zu Gesicht steht. 90 Seiten voller Emotion, Scharfzüngigkeit und politischem Ränkespiel, das in dieser Form sicherlich auch nicht ohne Hintergrundwissen zu verstehen ist, aber dennoch eine Aufforderung ausspricht, sich das Stück vielleicht doch nochmal näher anzusehen. Was vielleicht dann doch noch zur Korrektur eines der berühmtesten Druckfehler der Literaturgeschichte führt: immerhin wussten wir schon immer, dass es eigentlich um einen Bürgersmann namens Anton geht, der hier untergeht… (hb)
Dantons Tod
Text & Bilder: Andreas Eikenroth, nach Georg Büchner
96 Seiten in Farbe, Hardcover
Edition 52
19 Euro
ISBN: 978-3-948755-08-9