Manchmal treibt der Zufall kuriose Blüten. So treffen sich mitten im Nirgendwo des amerikanischen Westens drei Damen, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Kathleen Parker aus London, die Indianerin Chumani und die Sklavin Abigail. Kathleen hat gerade ihren Mann und ihren Siedlertreck verloren, Chumani ihren Bruder, der eben jenen Treck überfallen hat und die 14-jährige Abigail ist auf einer abenteuerlichen wie beschwerlichen Flucht, denn sie sitzt nach wie vor in einem eisernen Käfig gefangen, der sich nicht öffnen lässt. So bildet das Trio eine Art Zweckgemeinschaft, zu der sich, als Abigail ernsthaft erkrankt, noch zwei weitere Damen gesellen. Aber auch der „Besitzer“ Abigails bleibt nicht untätig und engagiert einen aalglatten mexikanischen „Spezialisten“, der die junge Sklavin wieder einfangen soll…
Die Geschichte beginnt mit dem kuriosen Aufeinandertreffen der drei in einem idyllischen Wald, das durch die im Käfig gefangene Abigail noch ungewöhnlicher erscheint. Dann erfahren wir einiges über die jüngere Vergangenheit der Frauen – Kathleens Tragik, die eng mit der von Chumani verbunden ist. Und wir sehen in einer furiosen wie blutigen Sequenz, die einem Tarantino zur Ehre gereichen würde, wie Abigail samt Käfig ihren Peinigern entkommen konnte. Mit ihrer Erkrankung bekommt die Story dann eine neue Wendung – die beiden letzten Frauen stoßen dazu – auch diese mit völlig unterschiedlichen Charakteren. Und die Story mündet schließlich schnurgerade in ein Finale, das vor aberwitziger, maximal schnörkelloser wie erneut blutig-explosiver Action nur so strotzt.
Western, in denen Frauen die Hauptrollen spielen, gibt es einige, wie beispielsweise „Bad Girls“ (1994) oder „Bandidas“ (2006). Auch in „Ladies with Guns“ findet sich eine starke Damenriege zusammen, die sich immer wieder selbstbewusst und damit erfolgreich gegen das damals (?) gängige Frauenbild stellt: Kathleen pfeift nach dem Tod ihres Mannes auf einen männlichen „Beschützer“, Abigail stellt sich gegen ihre menschenverachtende Gefangenschaft, wo es nur geht, Chumani beherrscht ihren Bogen ebenso sicher wie ihre männlichen „Kollegen“ und Daisy – eine der beiden „Neuen“ – beweist gegenüber dem Säufer-Sheriff ihre Entschlossenheit. Und dass Abigail wieder ihrem Sklavenhalter zugeführt wird, ist für das Quintett sowieso völlig ausgeschlossen. Eine für alle – alle für eine, das Motto der Musketiere gilt auch hier.
Autor Olivier Bocquet (u.a. FRNCK, Spirou + Fantasio Spezial) und Zeichnerin Anlor (u.a. Unterm Sternenzelt), die eigentlich Anne-Laure Bizot heißt, servieren hier deftig-originelle Westernkost, durchzogen nicht nur von furioser Action, sondern auch von trockenen Humor – sowohl in Text als auch in Bild – und mit erfrischenden Akteurinnen, die den Wilden Westen gehörig aufmischen. Bis jetzt. Denn man darf gespannt sein, wie es mit dem wehrhaften Quintett weitergeht – zwei weitere Alben werden noch folgen (Band 2 ist bei Dargaud bereits erschienen). Da man sich jetzt gefunden hat, wird die Story sicher eine andere Richtung einschlagen. Wobei noch nicht alle Damen ihre Vergangenheit beleuchtet haben. Und was in dem ominösen Fass ist, das Kathleen gehört, muss ja auch noch geklärt werden. (bw)
Ladies with Guns, Band 1
Text: Olivier Bocquet
Bilder: Anlor, Elvire de Cock (Farben)
64 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
17 Euro
ISBN: 978-3-96792-392-6