Lady Mechanika, Band 6 (Splitter)

April 6, 2020
Lady Mechanika, Band 6 (Splitter Verlag)

Irgendwie kann man sich aber auch auf niemand verlassen: da verabredet sich Lady Mechanika mit ihrem Kumpel Archibald in einer einsamen Villa, in der ein mechanischer Arm gefunden worden sein soll, der ihr wieder einen Hinweis auf ihre finstere Vergangenheit liefern könnte. Vor Ort macht die gute Lady aber gleich mehrere enttäuschende Entdeckungen: kein Arm weit und breit; Archibald, der alte Saufkopf, hat sie wieder mal hängen lassen; und eine Horde von Häschern, die auf den Namen die Schnitter hören, macht sich unter Führung der wahrlich grimmen Lady Grimm über sie her. Mechanika gelingt die Flucht, worauf sie sich zerzaust in Richtung Archibald macht, um ihn erbost zur Rede zu stellen.

Umso größer ihre Überraschung, als der berauschte Erfinder ihr eine atemberaubende Holde vorstellt, die angeblich seine Verlobte ist: Leanna Shi scheint dem guten Archibald im wahrsten Sinne des Wortes den Verstand geraubt zu haben. Der Gute lässt alles stehen und liegen, konzentriert sich nur noch auf seine Erfindungen und schlägt alle Warnungen von Mechanika und seiner Nichte in den Wind. Bis nach Paris lässt er sich von seiner geheimnisvollen Lady entführen, die massives Interesse an seiner Schaffenskraft zu haben scheint, die sich unter ihrem Einfluss zu ungeahnten Höhen aufschwingt – allerdings ganz offenkundig mit einem fürchterlichen Preis…

“Oh what can ail thee, knight at arms, alone and palely loitering?” So beginnt die wundersame Ballade von der Dame ohne Gnade, die der englische Lyriker John Keats 1819 erschuf und die zu den definierenden Werken der ersten Welle der englischen Romantik zählt. Joe Benitez nutzt diese literarische Vorlage zu einer furiosen und bemerkenswert scharfsinnig-literarhistorischen Pastiche in seiner Steampunk-Welt: schließlich geht es bei Keats nur an der Oberfläche um eine gotische Schauerballade, in der ein Ritter eine bezaubernde Fee trifft, die ihn in ihre Grotte entführt und nach einer wilden Nacht vom Tode gezeichnet wieder verstößt. Wie immer bei Keats geht es um die Macht der Imagination und Poesie, die kreativ und zerstörerisch zugleich ist – und höchst erotisch obendrein. Keats, Zeit seines Lebens schwindsüchtig und eines frühen Todes gewiss, erlebte die Dichtung als Rettung und Vernichtung gleichermaßen, was ihn mit seinem Zeitgenossen Samuel Taylor Coleridge verband, dessen Kubla Khan und Rhyme of the Ancient Mariner ebenfalls nicht zuletzt sehnsüchtige Oden an die flüchtige, den Tod überwindende Imagination liefern.

In einer fast schon erstaunlich deutungssicheren Art breitet Benitez eine ganz ähnliche Geschichte aus, in der eine böse Elfe über die Jahrhunderte bekannten Künstlern wie Chopin, Lorenzo Di Matteo und sogar John Keats im Tausch gegen ihre Lebensenergie unbegrenzte Schaffenskraft verleiht. Dass in der Steampunk-Welt Mechanika einschreitet und der Elfe ganz gewaltig in den Hintern tritt, das versteht sich hier natürlich von selbst. Eine wunderbare, höchst eindringliche Episode, die die spektakuläre Optik der Serie mit einer kongenial aufbereiteten literarischen Vorlage zusammenbringt. Das Highlight der Reihe bislang, kein Zweifel! Und ja – „She took me to her elfin grot“, das könnt ihr genauso verstehen wie es bei Keats steht. Das ist das mit der Erotik. Kaum verblümt. Da sag mal einer, Lyrik ist öde. (hb)

Lady Mechanika, Band 6: La Belle Dame sans Merci
Text: Joe Benitez, M. M. Chen
Bilder: Joe Benitez, Martin Montiel
112 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
19,80 Euro

ISBN: 978-3-96219-114-6

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