Charly 9 (Splitter)

Februar 18, 2015

Charly 9 (Splitter)

Charles/Karl IX. wurde nur 23 Jahre alt. Die meiste Zeit davon war er König von Frankreich. Psychisch labil, unberechenbar, kontrolliert von seiner Mutter Katharina von Medici, die im Hintergrund die Strippen zog. Er wäre ein unbedeutender König geblieben, wäre er nicht für eines der größten Massaker in der französischen Geschichte verantwortlich: die berühmt berüchtigte Bartholomäusnacht vom 23. auf den 24. August 1572, in der alleine in Paris etwa 3.000 Protestanten (Hugenotten) ermordet wurden.

Damit beginnt der Band. Karl, hier herrlich despektierlich Charly 9 genannt, wird von seiner Mutter und seinem Bruder beinahe problemlos überzeugt, dass die in Paris weilenden Hugenottenführer ermordet werden sollen. Der Tat folgt das große Töten in der Bartholomäusnacht, in der vermeintlich vom König befohlen (‚Der König will es‘) tausende Protestanten regelrecht abschlachtet werden. Die Nacht selbst wird ausgespart, die Folgen des Massakers, die Toten am nächsten Morgen werden in wortlose schwarz-rote Panels getaucht. Fortan begleitet Karl diese Nacht in seinem Leben. Er sieht überall Blut, hackt willkürlich auf Tiere ein, Menschenleben bedeuten ihm nichts. Weich wird er lediglich bei seinen Frauen, die er anständig behandelt. Seine Mätresse Marie Touchet, eine Hugenottin, die auf sein Geheiß verschont wird und seine Frau Elisabeth von Österreich, die ihm eine Tochter schenkt und die kein Französisch spricht (was auch zu einer derb komischen Szene führt). Überhaupt entbehren die Ausbrüche und Auswüchse des Königs nicht einer gewissen Komik in Wort und Bild, die extrem überzeichnet wird, als er– ganz nach Vogel Strauß Methode, von der er gerade hörte – den Kopf in einen ausgenommen Vogel oder Hirsch steckt und ruft, er sei gerade nicht da. Königliche Problemlösung, ganz zum Leidwesen seiner Berater und seines Gefolges. Am Ende erkrankt Karl an Tuberkolose. Er schwitzt Blut, sein Leiden und sein Tod sind wieder in schwarz und rot getaucht. Mit nur 23 Jahren stirbt der im Leben und in seinem politischen Wirken unglückliche Monarch, seine Mutter bleibt beinahe unberührt, auch als schließlich eine Puppe mit seinem Aussehen zu Grabe getragen wird, weil der Anblick seines von Krankheit gezeichneten, ausgemergelten Körper niemandem zugemutet werden kann. So beginnt und endet der Band mit Tod und mit Blut.

Auf dem französischen Thron sitzt, das wird einem bald klar, kein blutrünstiges Monster, sondern vielmehr ein überfordertes, unberechenbares, selbstzerstörerisches Kind, das den Kasper gibt und sich ganz nach damaliger Königsmanier an keine Gesetze oder Grenzen halten muss. Eine Art fehlgeleiteter Peter Pan, der nicht erwachsen werden will und der das politische Tagesgeschäft meidet, wo es nur geht (und sei es mit dem Kopf in einem Vogel). Nur einmal, als er im Louvre ganz nackt einen Hirsch jagt, wird er – bezeichnenderweise – von seiner Mutter Katharina in die Schranken gewiesen, als die seinem Treiben zum Aufatmen aller ein Ende bereitet. Sie ist es auch, die Frankreich eigentlich regiert. Sie schachert Karls Bruder einen Königsposten in Polen zu und hält die politischen Fäden fest in der Hand. Die Rücksichtslosigkeit ist dabei das einzige, was sie mit ihrem Sohn Karl gemeinsam hat.

An sich ist der Band – wie historisch genau er sein mag, oder auch nicht – ein interessanter Abriss der letzten Jahre eines kuriosen Monarchen. Er steckt voller bisweilen derber Situationskomik, bei der dem Leser auch ab und an das Lachen im Hals stecken bleibt – beispielsweise bei der Episode um den Aprilscherz. Die Mimik der Personen, v.a. der dümmlich unschuldige Gesichtsausdruck Karls ist bestens gelungen. Richard Guérineau (Der Gesang der Strygen, XIII Mystery), Autor und Zeichner in Personalunion, adaptiert hier den gleichnamigen Roman von Jean Teulé und spielt mit verschiedenen Stilarten. So sind die Panels teilweise aufwendig koloriert, dann werden die Farben wieder sparsamer eingesetzt. Der Morgen nach der Bartholomäusnacht, sowie der Tod und die Beisetzung der Königs sind wie bereits erwähnt in rot und schwarz gehalten. Eine Episode ist sogar im Funny-Stil gezeichnet und erinnert an Peyos Johann und Pfiffikus-Geschichten. Ein anderes mal wird er in einem Gemälde gar als Lucky Luke verewigt! In all diesen Facetten, seien sie historisch, fiktiv oder gnadenlos respektlos wird Karl zu einem Menschen degradiert, der auf dem Königsthron eine krasse Fehlbesetzung darstellt. So unterhält der Band auf höchster Ebene und ist damit nicht nur für geschichts-interessierte Leser geeignet sondern für alle, die franko-belgische Comickunst zu schätzen wissen – nicht umsonst war der Band 2014 für den großen Preis von Angoulême nominiert. (bw)

Charly 9
Text & Bilder: Richard Guérineau
nach dem Roman von Jean Teulé
128 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
19,80 Euro

ISBN: 978-3-95839-044-7

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