Beate & Serge Klarsfeld (Carlsen)

November 8, 2021
Beate & Serge Klarsfeld: Die Nazijäger (Carlsen Verlag)

Bundesparteitag der CDU, 7. November 1968: der amtierende Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger staunt nicht schlecht, als ihm eine vermeintliche Reporterin eine schallende Ohrfeige verpasst. „War das die Klarsfeld?“, fragt er sofort, denn die Aktivistin ist keine Unbekannte, sondern hat ihn auch schon von der Besuchertribüne des Bundestags offen als Nazi beschimpft. Beate Klarsfeld wird einige Zeit festgehalten, aber ihre symbolische Handlung verfehlt die Wirkung nicht: in der Öffentlichkeit wird die dubiose Vergangenheit so manches Würdenträgers der noch jungen Bundesrepublik Deutschland immer häufiger zum Thema.

Beate Klarsfeld, die als junges Au Pair in Frankreich ihren Mann Serge kennenlernt, initiiert mit dem Sohn eines von den Nazis ermordeten Franzosen immer wieder neue Aktionen, um darauf hinzuweisen, dass sich weltweit unbehelligt zahlreiche, teilweise hochrangige Akteure des dritten Reichs eines ungetrübten Lebens erfreuen. Insbesondere die Nazi-Funktionäre Klaus Lischka, Herbert Hagen und auch Klaus Barbie hat man im Visier. 1971 scheitert die Truppe beim Versuch, Lischka zu entführen, und auch Herbert Hagen entgeht lange Zeit der gerichtlichen Verfolgung. Das anhängige Verfahren gegen Klaus Barbie, der in Frankreich ein wahres Schreckensregime führte, wird von Staatsanwalt Rabl sogar eingestellt, was die Klarsfelds so nicht hinnehmen, sondern emsig nach Beweisen für die Taten Barbies suchen.

Alsbald findet man entsprechende Hinweise und auch Fotos, die nach einer anthropometrischen Analyse relativ eindeutig Barbie zugeordnet in französischen Zeitungen veröffentlicht werden. Im fernen Lima in Peru erkennt ein Emigrant den Verbrecher, der in Peru und Bolivien unter dem Decknamen Klaus Altmann diversen finsteren Geschäften nachgeht. Beate Klarsfeld reist nach Bolivien und versucht dort, Barbie zu konfrontieren, landet allerdings nur selbst in den Händen des Regimes, dem der Gast nicht gerade unwillkommen ist. Die Klarsfelds lassen sich durch weitere Rückschläge, Drohungen und auch Mordanschläge allerdings nie von ihrer Mission abbringen, die Kriegsverbrecher ihrer gerechten Strafe zuzuführen – was Ende der 70er endlich in den ersten Prozessen gegen Lischka und Hagen beginnt und im Verfahren gegen Barbie 1987 kulminiert…

Eine Kampagne gegen das Vergessen, gegen die Korruption und gegen das Vertuschen einer Vergangenheit, die man nicht mehr wahrhaben möchte: der Feldzug von Serge und Beate Klarsfeld rüttelte in den 60ern und 70ern weite Kreise der Gesellschaft auf, wurde von konservativen Mächten nicht gerne gesehen und von der (teilweise revolutionären) linken Bewegung gefeiert. Die Hartnäckigkeit und Furchtlosigkeit, mit der vor allem Beate Klarsfeld Gerechtigkeit für die Opfer suchte und schließlich gemeinsam mit ihrem (zum Rechtsanwalt avancierten) Mann auch erreichte, kann man nur bewundern.

Die realen Ereignisse werden von Autor Pascal Bresson und Zeichner Sylvain Dorange gekonnt ausgebreitet, mit monochromen Flashbacks, die vor allem die Untaten des „Schlächters von Lyon“ Barbie beklemmend nahebringen – wie etwa die Räumung eines Waisenhauses in Izieu 1944, dessen Bewohner umgehend in Vernichtungslager deportiert und getötet wurden. Die Kaltschnäuzigkeit, mit der ehemalige Nazi-Schergen in Deutschland weilten oder in Südamerika in trauter Volksgemeinschaft den neuen faschistoiden Diktaturen allzu gerne zur Hand gingen, kommt erschreckend klar zur Geltung.

Teilweise spannend wie ein Spionagekrimi inszeniert, von der akribischen Spurensuche bis hin zur direkten Verfolgung der Täter, breitet sich ein Kaleidoskop der Verantwortung zweier Menschen aus, ohne deren unermüdlichen Einsatz kaum die gesetzliche Grundlage, geschweige denn die viel beachteten Prozesse existiert hätten, in denen zumindest die noch mögliche Genugtuung erreicht wurde. Ein spannendes Stück Zeitgeschichte, das einmal mehr zeigt, dass eine Graphic Novel wichtige, gewichtige Themen transportieren kann. Bei Carlsen erscheint der Band in hochwertigem Hardcover mit reichhaltigem Anhang, der zahlreiche Fotos der realen Familie Klarsfeld und historischer Momente enthält. (hb)

Beate & Serge Klarsfeld: Die Nazijäger
Text: Pascal Bresson
Bilder: Sylvain Dorange
208 Seiten in Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
28 Euro

ISBN: 978-3-551-79347-8

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