Alles scheint perfekt. Natalie Grey lebt mit Partner James und dem gemeinsamen kleinen Sohn in einer schnieken Villa in Sausalito, Kalifornien – bald wird geheiratet. Geld ist genug da, zumindest reicht es, um mal eben so das neueste Motorrad zu kaufen. Natalie arbeitet erfolgreich als Architektin, ihr Job macht ihr Spaß. Das perfekte Leben, das perfekte Glück. Wäre da nicht ein klitzekleines Problem. Denn Natalie heißt eigentlich Natasha Romanoff und ist als Black Widow Teil der Superheldenfamilie um Hawkeye und dem Winter Soldier. Und genau die beiden lauern draußen vorm Haus im Gebüsch und fragen sich, ob sie die vermeintliche Idylle, die Natalie/Natasha hier endlich gefunden zu haben scheint, tatsächlich zerstören sollen. Andererseits muss jemand hinter der mysteriösen Sache stecken. Warum kann sich Nat nicht an ihr altes Leben erinnern? Was ist in den drei Monaten seit dem spurlosen Verschwinden der Black Widow geschehen?
Interessanter Ansatz: Hawkeye Clint Barton entdeckt die Vermisste zufällig im Fernsehen und muss nun gemeinsam mit dem Winter Soldier Bucky Barnes eine womöglich folgenschwere Entscheidung treffen: Sollen sie die Dame, die einst Black Widow war und die – von wem und warum auch immer – offenbar einer massiven und höchst wirkungsvollen Gehirnwäsche unterzogen wurde (Bucky kennt sich in solchen Dingen ja ebenfalls aus) aus dem vermeintlich goldenen Käfig, in dem sie nun ohne ihr Wissen lebt, befreien und damit ihr gegenwärtiges, vielleicht auch trügerisches Glück zunichtemachen? Gottlob wird den beiden, die sich gerne im Buddy-Modus kappeln, diese Entscheidung abgenommen, denn schon bald offenbaren sich die Hintermänner und -frauen – durch die Bank alte und neuere Feinde der Widow, die einen perfiden Racheplan verfolgen – und sich dabei dankbarerweise uneins sind. Soviel sei verraten.
Dem Seelenleben der Black Widow wird hier in ihrer aktuellen Solo-Serie übel mitgespielt (der Band fasst die ersten fünf Hefte, die in den USA bei Marvel zwischen November 2020 und April 2021 erschienen, zusammen). Der Boden der Tatsachen erweist sich für sie als besonders hart. Eigentlich schade. Denn es gilt wie so oft die Maxime: Es soll eben nicht sein, was nicht sein darf. So mündet der Band dann doch ganz konventionell in einer finalen Keilerei, bei der die Schurken eigentlich von vorneherein ahnen, was ihnen blüht. Aber auch die können eben nicht aus ihrer Haut. Dennoch wird es dramatisch und am Ende steht dann noch, nicht ganz überraschend, ein kleiner, letztlich versöhnlicher Twist, der zudem erklärt, warum der Winter Soldier das große Finale verpasst.
Zeichnerin Elena Casagrande, die bereits für DC arbeitete und auch Comicabenteuer von Doctor Who inszenierte, glänzt hier mit einem eleganten, realistischen Zeichenstil ähnlich dem von Joelle Jones. In einer feinen Linienführung, einem klaren, schnörkellosen Strich, der nicht überfrachtet und schön anzuschauen ist, setzt sie das Skript von Autorin Kelly Thompson (u.a. Captain Marvel, Deadpool) um. Ein Markenzeichen sind dabei Panelfolgen, eingebettet in doppelseitige Action-Panoramen, wodurch fließende Bewegungen entstehen. Die famosen Titelbilder der Einzelhefte von Adam Hughes sind dabei ebenfalls abgedruckt, wie auch eine Galerie der Variant-Cover. Ein Rückblick auf die Marvel-Historie der Beteiligten beschließt den Band, dessen Fortsetzung (auch aufgrund der zeitlichen Aktualität) erst im Dezember bei Panini kommen wird. Aber in wenigen Tagen erscheint ja der neue Black Widow Film im Kino und auf Disney+. (bw)
Black Widow, Band 1: Neues Glück
Text: Kelly Thompson
Bilder: Elena Casagrande
124 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
15 Euro
ISBN: 978-3-7416-2207-6
