Die Abenteuer von Hergé (Carlsen)

März 3, 2021

Georges Remi, der sich schon früh in seiner Karriere schlicht Hergé nannte, schuf 1929 seine Erfolgsserie „Tim und Struppi“ und wurde so zum Begründer des belgischen und damit auch des europäischen Comics. Tim bestreitet seine Abenteuer in 25 Alben (das unvollendete „Tim und die Alpha-Kunst“ mit eingerechnet). Weitere wird es nicht geben, denn Hergé verfügte, dass niemand die Reihe nach seinem Ableben fortführen darf. Über sein Leben, seinen Werdegang, ob künstlerisch oder privat, ist alles hinlänglich bekannt und in zahllosen Sekundärwerken, von denen auch einige bei uns erschienen, detailliert geschildert und aufgearbeitet. Interessierte oder Comicleser, die lieber auf ihr angestammtes Medium zurückgreifen, können nun auch Hergés Biographie – zumindest wichtige Teile daraus – in Comicform lesen, treffend als „Die Abenteuer von Hergé“ betitelt.

Dabei ist das Album beileibe nicht neu, sondern hier als erweiterte Neuauflage wieder veröffentlicht. Zuerst erschien der Band als Softcoverausgabe bereits 2001, dann erneut 2007 zum 100. Geburtstag von Hergé und zuletzt im Hardcover-Format im Jahr 2013. Dies ist also bereits die vierte Veröffentlichung! Hergés Leben wird hier episodisch erzählt, beginnend mit dem Jahr 1914, als er sieben Jahre alt war und endet mit seinem Tod – sehr gefühlvoll inszeniert – im Jahre 1983. Wir sehen, dass der junge Georges schon früh gerne zeichnete, begleiten ihn ins Kino, wo er Abenteuer-Geschichten kennenlernt (hier Maurice Tourneurs „Die Schatzinsel“) und sich nach seiner Zeit bei den Pfadfindern als erfolgloser Reporter versucht. 1928 dann kreiert er für „Le Petit Vingtième“, die Jugendbeilage der erzkatholischen, konservativen Zeitung „Le XXe Siècle“, die Figur des Reporters Tim, deren erste Reise in das Land der Sowjets führt. Die Serie wird schnell zum Erfolg und die inszenierte, reale Rückkehr Tims nach Brüssel entpuppt sich als genialer Werbecoup.

Schnell folgen weitere Geschichten, darunter die heute berüchtigte Kongo-Episode. Bei der Arbeit zu „Der Blaue Lotos“ lernt Hergé Tschang kennen, einen chinesischen Studenten. Die beiden freunden sich an und Tschang wird zur Inspirationsquelle Hergés. Später, als Tschang nach China zurückkehrt und die politische Situation eine ganz andere werden sollte, verlieren sich die beiden aus den Augen. In dieser Zeit „besetzt“ Hergé seinen Freund in „Tim in Tibet“, seiner Lieblingsgeschichte. Fast 50 Jahre sollten vergehen, ehe sich Tschang und Hergé von einem stattlichen Medienrummel begleitet, 1981 wiedersehen. Lange zuvor, im Kriegsjahr 1941, ist Belgien von den Deutschen besetzt. Hergé trifft erstmals seinen zukünftigen Mitarbeiter Edgar P. Jacobs („Blake und Mortimer“) und bekommt nach der Befreiung Brüssels Ärger wegen seiner Veröffentlichungen in der von den Deutschen kontrollierten Zeitung „Le Soir“. Später lernt er Fanny kennen, wegen der er nach Jahren seine Frau Germaine verlässt. Die ersten beiden Tim-Kinofilme werden kurz thematisiert, sowie seine Versuche als ernsthafter Maler.

Die Ausgabe von 2013

Der Band vermittelt erwartungsgemäß etliche Informationen zu Hergés Leben und Werdegang. Vieles, vor allem die Kontroversen oder die Kritik werden zwar angerissen, ohne jedoch vertieft zu werden. Die Episoden erscheinen dann nur oberflächig und versäumen es Lesern, die Hergé weniger gut kennen, weitere (kritische) Informationen zu liefern. Auch beschränken sich die Schilderungen seines Werkes auf „Tim und Struppi“, andere Serien, wie „Stups und Steppke“ oder „Jo, Jette und Jocko“ werden gänzlich ausgeklammert. Die Kontroverse um die rassistischen Darstellungen in „Tim im Kongo“, die bis heute andauert, wird kurz thematisiert, wie auch in den späteren Jahren die versuchte Abkehr von seinen Figuren, was sich in den erfolglosen Malerambitionen und in den immer größeren Veröffentlichungs-Zeiträumen zwischen den Tim Alben äußert.

Der Band wurde von José-Louis Bocquet („Kiki de Montparnasse“) und Jean-Luc Fromental geschrieben und von Stanislas (Barthélémy) gezeichnet. Natürlich im von Hergé erfundenen Stil der klaren Linie (Ligne Claire), wenn auch Stanislas, von dem bei Carlsen ebenfalls die Reihe „Der Papagei von Batignolles“ vorliegt, nicht den filigranen, klassischen Strich pflegt und den Stil weniger präzise und weitaus kantiger auslegt. Einige Panels erinnern dabei an Szenen aus den Tim Alben (der trinkende Kapitän durch das Bullauge). Diverse Illustrationen und Alternativ-Cover runden den Band ab, wobei das Personen-Register viele weiterführende Informationen und Zusammenhänge liefert. Als Hommage oder als Add-On zu den „Tim und Struppi“ Alben geht der Band völlig in Ordnung. Für Interessierte, die eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Hergés Leben und Werk anstreben, sollte dann doch eines der zahlreichen Sekundärwerke in Betracht gezogen werden. (bw)

Die Abenteuer von Hergé
Text: José-Louis Bocquet, Jean-Luc Fromental
Bilder: Stanislas
104 Seiten in Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
18 Euro

ISBN: 978-3-551-77469-9

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