Reisende im Wind, Band 8 (Splitter)

April 10, 2019
Reisende im Wind, Band 8 - Die Zeit der Blutkirschen, Buch 1 (Splitter Verlag)

Paris, im Februar 1885. Die junge Klervi, kaum 14 Jahre alt, kommt aus der Bretagne in die Stadt, um dort als Dienstmagd zu arbeiten. Sie spricht nur bretonisch und ist von dem städtischen Treiben sichtlich überfordert. Denn sie platzt mitten in die Begräbnisfeierlichkeiten von Jules Vallèes, einem prominenten ehemaligen Vertreter der Pariser Kommune. In all dem Trubel trifft sie eine resolute Frau namens Clara, die sie sicher an ihr Ziel geleitet. Drei Jahre später begegnen sich die beiden erneut, unter ganz anderen Umständen. Klervi lebt inzwischen auf der Straße und verdingt sich u.a. als Prostituierte für den tumben Zuhälter Jules. Bei Clara findet sie schließlich Unterschlupf und Schutz vor Jules. Die beiden Damen freunden sich an und verdienen ihr Auskommen als Musikerinnen. Mit den Jahren – inzwischen fand 1889 in Paris die Weltausstellung statt, zu deren Anlass der Eiffelturm gebaut wurde – merkt Klervi, das Clara ein dunkles Geheimnis umgibt, welches mit ihrer Vergangenheit zusammenhängt und worüber sie nie spricht. Doch auch Zuhälter Jules hat Klervi noch immer nicht vergessen und sinnt auf späte Rache…

Mit „Die Zeit der Blutkirschen“ startet Autor/Zeichner François Bourgeon den dritten und letzten Zyklus seines Klassikers „Reisende im Wind“, mit dessen 5-bändiger Hauptserie er berühmt wurde (sie entstand zwischen 1979 und 1984). Bereits 2009/2010, als er noch die Science Fiction Reihe „Cyann-Tochter der Sterne“ (ebenfalls bei Splitter) zeichnete, überraschte er mit dem zweiten Zyklus (oder dem ersten Add-On) „Das Mädchen vom Bois-Caïman“. Der Zweiteiler spielte in Louisiana während des amerikanischen Bürgerkrieges und schilderte die Geschichte von Zabo, der Urenkelin von Isabeau, der Hauptfigur der ersten Serie. Auch im dritten Zyklus – wieder ein Zweiteiler – steht Zabo im Mittelpunkt. Wir treffen sie 20 Jahre später in Paris wieder. Etwas gealtert, mit ersten grauen Haarsträhnen, ist sie noch immer die freiheitsliebende, unkonventionelle und mutige Frau, die wir bereits kennen. Doch etwas ist passiert in den Jahren, was offenbar mit den Geschehnissen um die Pariser Kommune (1879/1871) zusammenhängt, die in dem Band noch nachhallen und immer wieder thematisiert werden, beginnend mit dem Begräbnis von Vallèes.

Am Montmartre

Auch warum Zabo, die sich nun Clara nennt, nach Paris ging, wissen wir noch nicht. Die zweite starke Frau des Bandes ist die junge und unbekümmerte Klervi, die als Bretonin (auch Bourgeon lebt in der Bretagne) anfangs nicht einmal Französisch spricht. Zabo/Clara nimmt sich ihrer an, als Ziehmutter und Freundin gleichermaßen. Ihr Umfeld sind die Künstler des Montmartre – Toulouse-Lautrec und Renoir haben kurze Auftritte, man feiert im „Lapin Agile“ (heute noch immer ein Kabarett), und immer wieder wird das harte soziale Leben des Viertels thematisiert, in dem die Bewegung der Pariser Kommune ihren Ursprung nahm (siehe dazu auch Jacques Tardis Vierteiler „Die Macht des Volkes“). Dazu muss sich der Leser durch allerlei Namen und geschichtliche Begebenheiten kämpfen, was ihm durch die Anmerkungen, die auch die Übersetzungen der bretonischen Textpassagen beinhalten, gottlob erleichtert wird. Neben der eigentlichen Geschichte kommt immer wieder die offenbar traumatische Vergangenheit Zabos/Claras zur Sprache, die nur nach und nach enthüllt wird – mehr dazu sicher im abschließenden Band 2 (bzw. 9).

Die Verlegung der Handlung von den Bayous Louisianas in ein Paris, das an der Schwelle zur Moderne steht, bedeutet auch einen Wechsel von wilder Natur und üppigen Landschaften hin zu einer urbanen Szenerie, die Bourgeon aber gewohnt detailversessen wiedergibt (er baut dazu immer wieder Modelle seiner Gebäude, Schiffe etc.). Man besichtigt den neu errichteten Eiffelturm, flaniert über die Weltausstellung und lästert regelmäßig – schon als Running Gag – über die sich gerade im Bau befindliche Basilika Sacré-Cœur, die auf dem Montmartre errichtet wird und die Clara und ihre Freunde – Anarchisten, Ex-Kommunarden und deren Sympathisanten – als Schandmal betrachten (sie sollte u.a. als Abbüßung der Verbrechen der Kommunarden dienen). Neben ausdrucksstarken Gesichtern, die charakteristisch für Bourgeons Stil sind, beeindrucken die ausladenden Panels die auch mal das komplette verschachtelte Viertel, in dem Clara und Klervi leben, aus der Vogelperspektive zeigen. Oder ganzseitige, farbenprächtige Ansichten des Eiffelturms und im Gegensatz dazu die finsteren und fein ausgeleuchteten Szenen, die in den Pariser Katakomben spielen. Vorab wurde der Band übrigens in Schwarz-Weiß im Zeitungsformat veröffentlicht (in vier Etappen). Ein Fest für anspruchsvolle Liebhaber der franko-belgischen Comickultur. (bw)

Reisende im Wind, Band 8 – Die Zeit der Blutkirschen,
Buch 1: Rue de L‘Abreuvoir

Text & Bilder: François Bourgeon
88 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
18,80 Euro

ISBN: 978-3-86869-011-8

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