Mermaid Project, Band 1 (Splitter)

Juni 7, 2018

Schleichend kam er, der Niedergang Europas, Amerikas, der großen Industrienationen. Keine Apokalypse. Kein großer Knall. Irgendwann war es eben soweit: das Klima hatte sich komplett verändert, der Raubbau an den natürlichen Ressourcen unseres Planeten zeigte sein unumkehrbares, hässliches Gesicht. Die Folgen: durch den Anstieg des Meeresspiegels wurden Manhattans Straßenschluchten zu Wasserwegen. In Europa gedeiht tropische Vegetation. Palmen überall. Der Eifelturm ist eingestürzt und zu einem Stumpf verkommen. Benzin gibt es längst keines mehr. Pferdefuhrwerke sind wieder das Hauptverkehrsmittel. Überall Rückschritt. Kurz: die sogenannte „Erste Welt“ ist ziemlich hinüber. In dieser „schönen neuen Welt“ arbeitet die junge Romane Pennac als Inspektorin bei der Pariser Polizei. Als blonde Amazone, denn Weiße – noch dazu blond – werden in dieser neuen Weltordnung für den Niedergang verantwortlich gemacht und deshalb diskriminiert. Trotzdem schafft es Romane, sich im Job als Außenseiterin Respekt und einen guten Ruf zu verschaffen.

Dann kommt der Brief. Aus New York, verfasst von unbekannt, an Romane gerichtet. Mit der Information, dass in dem versiegelten Sarg einer aus den USA überführten Toten eine falsche Leiche liegt. Romane geht der Sache nach und wird dann überraschenderweise gemeinsam mit dem Geheimagenten Brahim El Malik nach New York geschickt. Grund: die verschollene Tote war Sekretärin bei Algapower, einem Konzern, der auf die Produktion von Methan spezialisiert ist, das nun als Treibstoff für die noch übrig gebliebenen Fahr- und Flugzeuge dient (Vehikel mit Verbrennungsmotor sind rar). Und Romanes Bruder Roger arbeitet als Gen-Forscher in dem Konzern, weshalb er als möglicher Verfasser des ominösen Briefes gehandelt wird. Doch die New Yorker Polizei spielt den Fall herunter und geht von einer simplen Verwechslung der Leichen aus. Roger weiß angeblich nichts von dem Brief, weshalb Romanes und Brahims Aufenthalt nur von kurzer Dauer zu sein scheint. Aber dann überschlagen sich unvermittelt die Ereignisse, denn Algapower könnte gleich einen ganzen Leichenberg im Keller haben…

Auf den ersten Blick erscheint das dystopische Setting der Serie noch vergleichsweise moderat, auch wenn der verfallene Eiffelturm als Symbol des Niedergangs gleich auf dem Titel ins Auge springt. Die Welt ist nicht wie in „Soylent Green“ überbevölkert oder wie in Rick Remenders „Low“ gar unbewohnbar. Aber beim genauen Hinsehen – von Zeichner Fred Simon konsequent eingehalten – bemerkt man die üppige Vegetation. Der Arc de Triomphe ist regelrecht überwuchert, an Straßen, an Häusern und selbst auf Friedhöfen wachsen Palmen und anderes tropisches Grünzeug, das man offenbar gedeihen lässt. Nicht minder erschreckend, wie die veränderte Welt selbst, ist der Umstand, wie sich die Menschen damit abgefunden, wie sie sich der neuen Realität angepasst haben. Der Alltag und die Gewohnheit, vielleicht auch immer noch die Gleichgültigkeit, schlucken die einschneidenden Veränderungen. Man geht machtlos einen Schritt zurück, benutzt wieder Pferde als Transportmittel. Und sucht neue technologische Möglichkeiten, wie eben um mit der Produktion von Methan einen neuen Treibstoff in ausreichenden Mengen zu haben. Irgendwann.

Und hier kommt Algapower ins Spiel. Was wie ein Krimi beginnt, mit ungewöhnlichen Verbindungen (der Brief, Romanes Bruder), bekommt schnell größere Dimensionen. Denn die Produktion von Methan ist aufwändig und teuer. Und bei ihren Nachforschungen scheinen die beiden Pariser Polizisten bald in ein konzern-internes Wespennest zu stechen. Algapower, wie im Namen bereits verhaftet, besitzt große Macht und Einfluss. Und geht womöglich auch über Leichen – wir wollen hier nicht vorgreifen. Denn die Macht der Konzerne, das gilt für heute, wie offenbar auch für morgen, scheint unbegrenzt. Und am Ende gibt es erst eine, dann eine weitere große Überraschung, bei der die Science Fiction Handschrift Leos erkennbar wird, der hier angenehmerweise andere Töne anschlägt und sich weniger an seine Planeten-Kolonisten-Reihen, wie „Aldebaran“, „Überlebende“ oder „Centaurus“ anlehnt. Was vielleicht auch an der Co-Autorin Corine Jamar liegt, die übrigens in der zweiten Staffel der Serie, die gerade in Frankreich beginnt, ebenfalls wieder an Bord ist. Wie auch Zeichner Fred Simon, der in einem lockeren, nicht ganz realistischen, aber dann doch äußerst detaillierten Stil die Geschichte in wunderbare Bilder fasst. Band 2 erscheint im August – insgesamt umfasst die Serie einmal mehr die Leo-typischen fünf Teile. (bw)

Mermaid Project, Band 1
Text: Leo, Corine Jamar
Bilder: Fred Simon
48 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
14,80 Euro

ISBN: 978-3-96219-125-2

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