Viel Lärm um Deadpool (Panini)

November 20, 2017

„All the world’s a stage!“ – Die ganze Welt ist eine Bühne. Nach diesem Motto eines leidlich bekannten Schreiberlings aus Stratford upon Avon handelt der unverbesserliche Selbstdarsteller Wade Wilson ja ohnehin schon permanent, aber selbst er staunt nicht schlecht, als er plötzlich mit Rüschen-Kragen und Strumpfhose in einer höfischen Welt landet und dabei nur noch geschwollene Reden schwingt. Alsbald erscheint ihm ein Geist, der ihm zwei Dinge offenbart: erstens ist seine Ausdrucksweise nicht gestelzt, sondern im Blankvers (wer‘s genauer wissen will: das ist der reimlose fünfhebige Jambus, in dem alle vernünftigen elisabethanischen Dramen daherkommen – zum Üben: „to be or not to be“, da dam, da dam, da dam, etc.). Und zweitens ist irgendetwas gewaltig faul im Staate wo auch immer man ist: der Geist behauptet, der ehemalige König zu sein, den sein eigener Bruder gemeuchelt hat, um mit seiner ex-Frau den Thron zu besteigen. Die Zeit ist aus den Fugen!, möchte man da rufen, aber Deadpool wittert seine Chance: wenn er den Mörder zur Strecke bringt, kann er ja vielleicht aus dieser absonderlichen Welt entfliehen.

Dabei laufen ihm aber erst noch zwei Damen über den Weg, von der eine in eine unglückliche Liebschaft mit dem Spross einer verfeindeten Familie verstrickt ist. Hier kann Wade wahrlich wenig weiterhelfen, aber die beiden schicken ihn dann obendrein noch zu ihrem Vater, der sich bitterlich beklagt: er habe sein Reich doch nur friedlich aufteilen wollen, aber seine bösen Töchter Goneril und Regan („ist der wieder Schauspieler?“, fragt sich Wade) wollen sich die Chose natürlich gleich unter den Nagel reißen, wogegen die dritte im Bunde Cordelia gewaltig etwas einzuwenden hat. Leichter macht es die ganze Gemengelage auch nicht gerade, dass eine der Holden sich plötzlich als Hetzerin vor dem Herrn gebärdet, die verlangt, man solle sie doch nun endlich entweiben, und Deadpool solle doch nun endlich den König um die Ecke bringen – dass der Alte so viel Blut hat, kann doch schließlich niemand wissen. Die Lage spitzt sich endgültig zu, als der grimme Fortinbras, die schäumende Cordelia und dazu auch noch der ganze Birnam-Wald auf das Schloss zumarschieren…

Ian Doescher entfacht hier den gleich wilden Wirbel, den er in seinen erfolgreichen Nacherzählungen „William Shakespeare’s Star Wars“ den Krieg der Sterne stilecht in die Manier des Barden umfunktioniert. In einem furiosen Klassiker-Mashup, wie wir das entfernt aus „Pride and Prejudice and Zombies“ kennen, hier aber deutlich besser funktioniert, prallt die Welt des sicherlich größten Dramatikers aller Zeiten mit einer der respektlosesten Figuren aufeinander, den die populäre Kultur je hervorbrachte. Dabei zeigt sich Doescher als kompetenter Kenner des Shakespeare-Oeuvres, denn Deadpool wandert – stilecht in fünf Aufzügen – nacheinander durch vier zentrale Stücke, bei denen sich die Hauptfiguren teilweise in einem Bäumchen-Wechsel Dich-Spiel überlappen und in die anderen Dramen hinüberschwappen: vom Geist von Hamlets Vater über die unglückliche Julia und die niederträchtigen Töchter König Lears geht es zum ultimativen Blutbad, in dem Lady Macbeth ihren Gatten zum Königsmord anstiftet.

Dabei entstehen wunderbare satirische Kontraste – wie etwa zwischen dem ewigen Zauderer Hamlet (wobei ich mit dieser Interpretation immer so meine Probleme hatte: würdet ihr einfach Euren Onkel umlegen, nur weil ihr eine Vision von einem Geist hattet? Da hätten wir schon viele niederstrecken müssen, vor allem Samstag Nachts…) und dem tatkräftigen Deadpool, der erst mal Gliedmaßen abtrennt, bevor er lange rumfragt. Standesgemäß, so stellt Deadpool selbst fest, endet alles in einer mit Leichen übersäten Szenerie, für die die elisabethanische Rachetragödie ja berüchtigt ist, nachdem wir noch andere Shakespeare-Charaktere wie etwa den Magier Prospero aus dem Sturm oder Falstaff aus den Lustigen Weibern von Windsor getroffen haben (mit denen Wade sich natürlich weidlich vergnügt). Natürlich darf auch die Meta-Ebene nicht fehlen, auf der Deadpool den Leser anspricht und veralbert – das gefalle wohl dem Geek, der das gerade liest, so deutet er geradewegs aus den Seiten heraus auf uns, und die vielen direkten Zitate, in denen sich die Figuren ergehen, nimmt er häufig verdreht und wunderbar süffisant ironisch auf – wobei immer die Form, also der Blankvers, gewahrt bleibt.

Ein wunderbar anarchisches Lesevergnügen also, das natürlich besondere Freude bereitet (und wahlweise auch in einer Hardcover-Version für angenehme 19 € erhältlich ist), wenn man die Quellen zumindest in Grundzügen kennt – aber dafür sorgt ein ausführlicher Anhang, in dem die Handlung der vier zentralen Stücke, die hier durch den Wolf gedreht werden, erklärt wird und auch jede einzelne Anspielung aufgelöst ist. Ein Interview mit Mastermind Doescher rundet die Chose ab. Fürwahr, ein fürstliches Vergnügen, möchten wir da sagen – oder, wie das ein buckliger König gerufen hätte, der hier ausnahmsweise nicht herhalten muss: ein Pool, ein Pool, mein Königreich für einen Pool! (hb)

Deadpool: Viel Lärm um Deadpool
Text: Ian Doescher
Bilder: Bruno Oliveira
100 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
14,99 Euro

ISBN: 978-3-7416-0367-9

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