Moon Knight, Band 1 (Panini)

März 29, 2017

Marc Spector ist Moon Knight. Der weiße Schatten, der die Nacht durchflattert und dabei die Reisenden beschützt. Als Avatar des ägyptischen Gottes Khonshu, versteht sich, immer wieder mal in verschiedenen menschlichen Deckmäntelchen, darunter als Detektiv namens Mr. Knight, Taxifahrer Jake Lockley oder auch Milliardär Steven Grant, unterstützt von diversen Helfern. So weit, so klar. Aber warum zur Hölle behauptet dann diese Ärztin namens Doktor Emmet, dass der gute Marc sich das alles nur einbildet? Dass er seit Kindesbeinen in der Psychiatrie einsitzt, wo man seine gespaltene Persönlichkeit behandelt, die sich gerne mal in eine Traumwelt aus ägyptischen Göttern und apokalyptischen Bedrohungen flüchtet, um die eigenen Erlebnisse zu verarbeiten?

Immer wieder changiert Marc zwischen den Realitäten: hier das Irrenhaus, wo ihn die Wärter mit einer „Schocktherapie“ (sprich Stromstößen) quälen, dort seine Unterhaltungen mit Khonshu, der von universalen Bedrohungen durch einen gewissen Seth berichtet und ihm Mit-Insassen wie der Nahkämpfer Jean-Paul „Frenchie“ DuChamp, der Säufer Bertrand Crowley und Gena Landers als tatkräftige Unterstützer über den Weg marschieren. Irgendwann läuft dieses Fass naturgemäß massiv über: nach einer besonders bösen Runde Schocktherapie und einer bedrohlichen Sitzung mit Dr. Emmet schnappt sich Marc einen Kugelschreiber als Waffe, und Frenchie ruft zum großen Ausbruch, an den sich auch Crowley und die regungslose Gena anhängen. Dicht auf den Fersen dabei sind immer die Wärter (die Marc als Hundegötter sieht) und Dr. Emmet, in der Marc doch viel eher die Gerichtsgöttin Ammit erkennen will…

Die limitierte Variant-Cover-Edition

Nach dem hervorragenden letzten Moon Knight-Serienkonzept, jede Episode von einem anderen Kreativteam realisieren zu lassen (allen voran Superstar Warren Ellis), darf sich dieser wandlungsfähige Charakter nun in seiner neuen Serie in die doch etwas derangierten geistigen Hände von Jeff Lemire begeben. Lemire zeichnet sich bekanntlich stets durch abseitige, psychologisierende und teilweise durchaus beklemmend schockierende Visionen aus (nicht umsonst vertraute man ihm u.a. „Justice League Dark“ an), und auch hier baut er sich sein ganz eigenes Alptraumuniversum. Im Duktus von Vexierspielen wie „Sucker Punch“ oder „Shutter Island“ dreht sich alles um die Frage, ob wir hier denn nun einen zu Unrecht weggesperrten Helden oder nicht doch nur einen wild phantasierenden Soziopathen vor uns haben – und dass die geistige Konstitution des guten Marc noch nie die stabilste war, das ist uns aus den vorigen Episoden bestens bekannt, so dass die faszinierende Grundidee Lemires nichts weiter als eine logische Fortschreibung von Spectors Persönlichkeitsstörungen darstellt.

Die ruppigen Methoden der „Pfleger“ verweisen einstweilen mehr als einmal auf die Praktiken in einem gewissen Kuckucksnest, womit der Ausbruchsversuch stellvertretend für die Flucht auch aus geistigen Ketten zu lesen ist. Die Figur des Khonshu bleibt dabei durchaus im Zwielicht, was ebenfalls in bester Moon Knight-Tradition steht. Lemire gelingt somit (im Gegensatz etwa zu seiner doch arg überzogen horrormäßigen Neuinterpretation von „Animal Man“) eine stimmige Weiterentwicklung, die Greg Smallwood (der ja auch schon die Moon Knight-Episode „Blackout“ realisierte) hervorragend inszeniert, mit psychedelischen Bildabfolgen, variationsreichen Panel-Gestaltungen und differenziertem Einbau von optischen Signalen in Wort und Bild. Sinnverwirrend im besten Sinne! Der vorliegende Band bringt die US-Ausgaben Moon Knight 1-4 von 2016, ergänzt um eine Variant-Cover-Galerie. (hb)

Moon Knight, Band 1: Willkommen im neuen Ägypten
Text: Jeff Lemire
Bilder: Greg Smallwood, James Stokoe, Francesco Francavilla
132 Seiten in Farbe
Panini Comics
16,99 Euro

ISBN: 978-3-74160-157-6

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