Die Kinder des Prometheus, Band 1 (Panini)

August 23, 2016

Die Kinder des Prometheus, Band 1 (Panini)

Hiroshima – ein Mann sitzt entspannt in einem Café, die Atombombe fällt. Der Herr überlebt weitgehend ungerührt und kommentiert lakonisch: „netter Versuch“. Jahre später – der offenbar menschlich gewordene Poseidon wird von Tauchern angegriffen, gefangen genommen und von der gleichen Gestalt gnadenlos ermordet. Irgendwas scheint nicht zu stimmen auf dem Olymp: der Götterbote Hermes (nicht mit Flügelstiefeln und Helm, die ja dann der Golden Age Flash kopierte, sondern in zivil) sucht Dionysos auf, der als abgehalfterter Typ dunkle Geschäfte macht und dabei permanent säuft. Die Nachricht: Göttervater Zeus ruft ihn zurück, da er nur so vor Thymos geschützt werden kann – dem finsteren Gesellen, der Jagd auf die wenigen verbliebenen Götter macht. Der Olymp ist gefallen, die Götter weilen in menschlicher Form unter den Sterblichen und versuchen mit allen Mitteln, Thymos zu ermorden, der seinerseits die Erde zum Schlachtfeld gemacht hat. In Hiroshima ging der Mordversuch an Thymos schief; in der russischen Tunguska wiederum wurde Thymos des flüchtigen Helios habhaft und ließ ihn in einem gewaltigen Meteoreinschlag untergehen. Der olympische Waffenschmied hat Tschernobyl in die Luft gejagt, um davonzukommen, und Asklepius wählt als Abgang eine kleine Seuche namens Pest, die er verursacht.

Nette Gemengelage also, in der Zeus seine zerstobene Familie auf seinen noblen, hermetisch abgeriegelten Landsitz ruft. Seine zerstrittene Sippschaft stellt er vor die unmissverständliche Botschaft: spätestens der Tod seines Bruders Poseidon beweist, dass nichts und niemand mehr vor Thymos sicher ist. Offenbar benötigt man Hilfe, und da ist jedes Mittel recht. Nur der Stein der Moiren kann Thymos töten, der ist aber abhanden gekommen – Asklepios hatte in Zentralasien die letzten Spuren gefunden, weshalb Zeus anordnet, die Suche dort zu beginnen. Unterstützung erhofft man sich wie in den guten alten Zeiten von den Helden, die die mythologische Welt schon immer bevölkerten und als Kanonenfutter gut waren: Hermes holt den einarmigen Herakles an Bord, der – notgedrungen gemeinsam mit Dionysos, der gute Verbindungen in die Region hat – den Stein ausfindig machen soll. Dafür rekrutiert man zwei weitere durchaus zweifelhafte Gestalten: den Hallodri Perseus, der als abgewrackter Drogenfan in Südostasien im Dschungelkrieg abhängt, und den alten Fahrensmann Jason. Herakles beordert beide in den Golf von Bengalen und eröffnet in ihre Mission, über die sie ganz und gar nicht erbaut sind, hat doch vor allem Jason ein eigenes Hühnchen mit dem Kraftprotz zu rupfen. Aber Zeus beauftragt sie zur Jagd ihres Lebens – können sie das wirklich ablehnen? Einstweilen machen sich Dionysos und Hermes auf dem Weg zu Hades auf, der sich in den Ruinen von Tschernobyl ein Domizil aufgebaut hat. Dort hält der auch die Moiren versteckt und nimmt kurzerhand auch beiden Besucher gefangen…

Respektlos, gewalttätig, bildkräftig. Eine solche Achterbahnfahrt durch die griechische Mythologie gab es schon lange nicht mehr zu bestaunen. Dass die antiken Götter nichts anderes waren als überhöhte Symbole menschlicher Eigenschaften, das ist ja nicht neu – Zeus der alte Weiberheld, Hera seine keifende Alte, die ständig kämpfenden Kinder, die erbosten, hinterhältigen Brüder Hades und Poseidon, das kennen wir aus so manchen neueren Fassungen, neben der Comicwelt einer Wonder Woman nicht zuletzt dem Kino-Remake des Kampfs der Titanen. Aber die Götter zu vermenschlichen, sie direkt ins hier und jetzt zu transportieren und sie dann auch noch für epochale Naturkatastrophen verantwortlich zu machen, das ist ein Geniestreich. Da zerfetzt Hera regelrecht einen Stier nach dem anderen und herrscht Artemis an, sie solle sich nicht so haben, ihre Peta-Freunde hätten sie wohl weichgeklopft; Dionysos säuft und kübelt, was das Zeug hält; Perseus sollte wie Colonel Kurtz eigentlich eine feindliche Stellung unterwandern, pfeift sich aber einen Joint nach dem anderen in den Kopf und stellt fest, er habe in den drei Wochen Jasons Scheuertuch mehrfach verhökern können (gemeint ist das goldene Vlies, das der Kollege Königin Medea abgeluchst hat). Artemis trifft den symbolhaften Nagel auf den Kopf: man dürfe sich nicht wundern, was aus der Welt geworden ist, immerhin haben die Götter den Menschen erst die Technologie gegeben, mit der sie die gute Gaia jetzt quälen und sich von ihnen abgewendet haben. Thymos verkörpert dagegen die schiere Rachsucht, er will Vergeltung für seine Mutter, die von den Göttern getötet wurde – in der griechischen Philosophie steht Thymos (direkt übersetzt so viel wie „Lebenskraft“) für die Gemütslage eines Menschen, genauer gesagt für das Bedürfnis nach Anerkennung.

Kill your idol, so könnte man das auch sagen: diese wild gewordenen Halbgötter eifern ihrem Urvater Prometheus in allem nach. Symbolisch für die Auflehnung gegen die herrschende Ordnung und die Generation der Väter, so ließen ihn schon Goethe (als Vorkämpfer der Stürmer und Dränger), Percy Shelley (als mythologisch verbrämter Revoluzzer in „Prometheus Unbound“) und auch seine Eheholde Mary (als Frankenstein, dem auch so bezeichneten „modernen Prometheus“, der ketzerisch neues Leben schafft) in der Literatur erscheinen, so nahm Ridley Scott den Faden jüngst in seinem Alien-Prequel „Prometheus“ wieder auf, und so zeichnen ihn auch Herzet und Henscher in diesem wilden Wirbel, der einen furiosen Beitrag zum Alben-Programm bei Panini liefert. Zeichnerisch lenkt Veteran Rafa Sandoval das erwartungsgemäß in die Superhelden-Ecke, die er auch schon in seinen Arbeiten für Catwoman und X-Men auslotet: da kommt Herakles wie ein desillusionierter Held daher, die Poseidon-Szenen würden sich ebenso gut als Aquaman-Sequenz machen, Hera könnte direkt aus einem Wonder Woman-Abenteuer entsprungen sein, und Zeus fährt im Rollstuhl durch die Gegend. Durch freie Panelgestaltung gelingen Sandoval diverse explosive Kompositionen, die der schmissig-subversiven Handlung mehr als angemessen sind. Fortsetzung folgt. Und übrigens können Mulder und Scully ihre Suche aufgeben, was sich denn in der Tunguska wirklich zugetragen hat. Auf die hier vorgetragene Variante wären selbst die beiden wohl nie gekommen. (hb)

Die Kinder des Prometheus, Band 1: Familientreffen
Text: Henscher, Emmanuel Herzet
Bilder: Rafa Sandoval
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Panini Comics
13,99 Euro

ISBN: 978-3-95798-695-5

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