Wytches, Band 1 (Splitter)

Mai 6, 2016

Wytches, Band 1 (Splitter)

September 2014. Erst seit Kurzem hat die Familie Brooks – Vater Charlie, Mutter Lucy und Tochter Sailor – ihr neues Heim bezogen: ein Haus, einsam gelegen, direkt am Waldrand. Alle drei hadern mit ihrer Vergangenheit. Charlie, ein recht erfolgreicher Comic-Zeichner und -Autor, trank zu viel, worunter seine Tochter Sailor litt. Lucy verunglückte schwer mit dem Auto und ist seitdem an den Rollstuhl gefesselt. Und Sailor hatte ein traumatisches Erlebnis mit einer Schülerin, die sie mobbte und die unter seltsamen Umständen verschwunden ist. So bedeutet der Umzug auch gleichzeitig einen Neuanfang, der die Vergangenheit bewältigen und abschütteln soll. Aber daraus wird nichts. Nicht im Geringsten. Klar, oder? Denn schon bald geschehen seltsame Dinge. Ein Reh dringt in das Haus der Brooks ein und beißt sich die Zunge ab. Sailor wird nachts in ihrem Zimmer von etwas gebissen. Charlie hat eine seltsame Begegnung mit einer kahlköpfigen Frau. Langsam dämmert es v.a. Charlie und Sailor, dass sie hier vom Regen in die Traufe gekommen sind. Denn draußen in den Wäldern scheint etwas zu lauern. Etwas uraltes, dass es ausgerechnet auf Sailor abgesehen hat. Aus ganz perfiden Gründen…

Mit „Wytches“ veröffentlicht Splitter eine weitere US-Serie im Graphic Novel Format. Nach den SF-Reihen wie „Descender“, „Low“ und „Lazarus“ haben wir hier nun eine lupenreine Horror-Mär, die sich langsam aufbaut und furios wie virtuos immer weiter zulegt und an Fahrt aufnimmt, weshalb wir hier nicht mehr zur Story preisgeben. Spielverderber wollen wir ja schließlich auch keine sein. Denn was Autor Scott Snyder (American Vampire, The Wake) und Zeichner Jock (Green Arrow) hier Horror-technisch auffahren, hat sich gewaschen und will ohne Vorkenntnisse gelesen werden, des Gänsehaut-Feelings wegen. Obwohl die Story nicht zimperlich ist, bleibt die Subtilität nicht auf der Strecke. Und es fließt vergleichsweise wenig Blut. Auch die Monster sind zwar präsent, aber nie plakativ im Vordergrund, sondern halten sich storydienlich „vornehm“ zurück. Das Schreckenslevel und damit die Spannung werden durch etliche mysteriöse Vorfälle aufrecht erhalten. Nur langsam kommt Licht in das sprichwörtliche Dunkel, werden überraschende Zusammenhänge hergestellt, die den Leser erschrecken und verblüffen. Das ist zum einen das Verdienst von Scott Snyder, das das, was er mit „The Wake“ in der SF ablieferte, hier im Horror-Genre wiederholt: eine ausgeklügelte, schlüssige und dabei äußerst originelle Story.

Zum anderen arbeitet ein funktionierender, originärer Horror nicht nur mit guten Geschichten. Im Film und im Comic benötigt guter Horror auch eine entsprechende Optik, die der Story zuträglich ist. Und die Optik in Wytches, nicht nur die Zeichnungen an sich, sondern deren Design samt Farbgebung ist schlichtweg großartig. Das beginnt mit Jocks hakeligen, kräftigen Tuschezeichnungen, die die Richtung vorgeben. Ausdrucksstarke Gesichter. Finsterster Wald. Übelste Monstrositäten. Hilflose und ratlose Eltern, die den Horror langsam ahnen. Dann die Farben. Matt Hollingsworth belässt es nicht mit einer reinen Farbgebung. Die Seiten werden außerdem mit hellen Farbklecksen überzogen, die keinem Muster gehorchen und damit eine stetige Unruhe vermitteln (das Werden des Farbdesigns wird im Anhang auch anschaulich gezeigt). Damit erscheint das Geschehen wie durch einen Filter gesehen, ähnlich wie bei viragierten Stummfilmen, wo bestimmte Einfärbungen bestimmte Stimmungen vermitteln sollten. Ein Design, das ständig variiert, das aber konsequent durchgehalten wird und das die alptraumhaften Geschehnisse unterstützt. Optik ergänzt Story. Und umgekehrt. Das Ergebnis ist ein wunderbarer Horror-Comic, der gängige Genre-Klischees umschifft und dabei voll ins Schwarze trifft. Mitten in die Finsternis. (bw)

Wytches, Band 1
Text: Scott Snyder
Bilder: Jock, Matt Hollingsworth (Farben)
184 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
24,80 Euro

ISBN: 978-3-95839-291-5

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