Interview mit Thomas von Kummant (Gung Ho)

März 9, 2016

Thomas von Kummant

Thomas von Kummant und Benjamin von Eckartsberg gehören zu den wenigen internationalen Aushängeschildern, wenn es um Comics Made in Germany geht. Bekannt wurde das Duo mit der Holbein Adaption der ‚Chronik der Unsterblichen‘ (die inzwischen der Chinese Chaiko als Zeichner betreut), in der Thomas von Kummant seinen inzwischen unverwechselbaren Zeichen- und Farbstil etablierte. Seit einigen Jahren haben die beiden mit ‚Gung Ho‘ ihre eigene, höchst erfolgreiche Serie am Start, die bei Cross Cult erscheint – in bisher zwei Alben. Wir hatten die Gelegenheit, Thomas einige Fragen zu stellen, wobei sich bei zweien davon auch Autor Benjamin von Eckartsberg zu Wort meldete:

Comicleser (CL): Was war für Dich der Grund, mit Benjamin ein neues Projekt zu beginnen und die Unsterblichen zu verlassen?

Thomas von Kummant (TvK): ‚Chronik der Unsterblichen‘ war die Adaption einer Romanreihe von Wolfgang Hohlbein. Wir wollten eine eigene Geschichte entwickeln, an der wir auch selbst die Rechte haben.

CL: Benjamin ist ja auch Zeichner und Illustrator. Wie sehen seine Vorgaben, bzw. sein Script aus und welche Freiheiten hast Du bei der Umsetzung?

TvK: Benjamin schreibt das Szenario wie ein Drehbuch für einen Film. Jede neue Szene wird mit Lokation- und Tageszeit-Angabe und einer kurzen Beschreibung des Ablaufs beschrieben. Dazu gibt er den jeweiligen Dialogtext an. Mein erster Schritt ist – ähnlich wie bei einem Film – die Erarbeitung eines Storyboards, wobei ich absolute Freiheit habe. Danach besprechen Benjamin und ich das Storyboard und er gibt mir mit seiner Erfahrung und seinem frischen Blick tolles Feedback. Wenn wir beide zufrieden sind teile ich die einzelnen Bilder in Seiten auf und lege das Seitenlayout fest.

Die Vorzugsausgaben von Band 1+2

Die Vorzugsausgaben von Band 1+2

CL: Gung Ho erscheint auch im französischen Sprachraum bei Editions Paquet. Wie gut läuft die Serie dort? In welchen Ländern erscheint Gung Ho noch?

TvK: In Frankreich wird die Serie gut angenommen und wir haben schon einige Preise verzeichnen können. Bisher erscheint Gung Ho in Frankreich, Deutschland und Holland. Es gibt bereits großes Interesse anderer Länder, die aber noch das Erscheinen des dritten, oder sogar vierten Bandes abwarten.

CL: Gung Ho entsteht am Computer. Würde es Dich reizen, ein Comic wieder auf die ursprüngliche Weise zu zeichnen, also mit Stift und Papier? Wie würde das dann vom Stil her aussehen?

TvK: Der Computer ist für den Look von Gung Ho optimal, aber ich kann mir gut vorstellen einen Comic wieder traditionell umzusetzen. Wie das vom Stil her aussehen würde hängt ganz von der Art und dem Ton der Geschichte ab, aber ich habe bei meinen Signierreisen immer das Skizzenbuch, den Bleistift und Aquarellfarben dabei und trainiere schon für den Ernstfall.

CL: Gibt oder gab es Ideen oder Anfragen, aus Gung Ho einen Film oder eine TV-Serie zu machen?

TvK: Die Umsetzung von Gung Ho ins Medium Film oder TV-Serie ist für uns ein gestecktes Ziel. Es gab schon ein paar Anfragen diverser Produktionsfirmen, aber davon ist noch nichts spruchreif. Um die Geschichte qualitativ so umzusetzen wie wir sie sehen, bräuchte es schon alleine wegen der Animation der „Reißer“ ein beachtliches Budget. Ich denke die Serie muss international erst noch bekannter und erfolgreicher werden, bevor man so ein Projekt finanziert bekommt.

Seite 7 aus Band 2

Seite 7 aus Band 2

CL: Band 1 +2 erschienen jeweils um den Comic-Salon in Erlangen. Können wir da wieder mit Band 3 rechnen?

TvK: Band 3 wird zum Comicfest München 2017 erscheinen.

CL: Die Serie ist auf insgesamt 5 Bände angelegt, inwieweit stehen/standen die Entwicklung des Hauptplots schon fest? Bei Band 3 ist ja jetzt schon klar, dass es in erster Linie um ‚Sexy Beast‘ gehen soll…

TvK: Bevor ich angefangen habe den ersten Strich zu zeichnen hat Benjamin das gesamte Szenario für alle 5 Bände fertig geschrieben. Die letzten beiden Bände tragen die Titel „Zorn“ und „Die weiße Flut“ – da darf man schon gespannt seinJ

CL: Die Grundstory von Gung Ho erinnert an ein Teenager-Rebellen-Drama in einem Mad Max-Szenario, welche konkreten Inspirationen habt ihr für die Geschichte? Vor allem die Wettrennen in Band 2 erinnern sehr an ‚Rebel without a cause‘…

Benjamin von Eckartsberg (BvE): Im Sommer 2005 hatte ich eine Art Tagtraum. Ich habe mir vorgestellt, dass da Jugendliche drum herum sitzen, flirten, trinken und rauchen – dort aber gar nicht sein dürfen, weil sie aus ihrer befestigten Siedlung ausgebüxt sind. Die Teenager tragen Waffen und haben Wachen abgestellt, welche die Umgebung beobachten. Denn sie befinden sich dort in der Gefahrenzone, in der jeder Zeit gefährliche Bestien auftauchen könnten. Spannend an diesem Bild fand ich, dass die Teenager Verantwortung tragen müssen, die in unserer Gesellschaft den Erwachsenen und bestimmten Institutionen mit exekutiver Gewalt vorbehalten sind, gleichzeitig aber ihre Teenager-Bedürfnisse ausleben wollen. Da ist reichlich Konfliktstoff vorhanden, zwischen den Menschen und den Bestien, zwischen den Jugendlichen untereinander und zwischen ihnen und den Erwachsenen.

Darüber hinaus gab es keine konkrete Inspirationsvorlage für die Grundidee, aber mitten im Schreibprozess habe ich schon gemerkt, wie bestimmte Inspirationen ihren Weg in die Story gefunden haben. Ein Beispiel ist ‚Red Dawn‘ (Die rote Flut) von 1984. Den habe ich als 14-Jähriger im Kino gesehen. Das mag ein dümmlicher Kriegsfilm sein, aber ich kann mich gut erinnern, wie faszinierend ich es fand, dass eine Gruppe Teenager sich mit Waffen und Pferden in die Berge zurückgezogen haben, um einen Partisanenkrieg gegen die Russen zu führen. Teenager als Hauptfiguren in einem Erwachsenenfilm, das hat mich damals umgehauen. Ein anderer Einfluss mag ein französischer Film aus den Achtzigern gewesen sein, dessen Namen ich vergessen habe. Outlaws oder Bandits oder so ähnlich. Darin flüchtet eine Gruppe Jugendlicher aus einer Erziehungsanstalt in die Pyrenäen und wird von der Polizei gnadenlos gejagt. Diese Filme sind in Gung Ho nicht in Form von konkreten Handlungselementen, sondern eher als ein Gefühl eingeflossen, das ich beim Leser erzeugen wollte.

Ausstellung beim Comicfestival 2015 in München

Ausstellung beim Comicfestival 2015 in München

Ich habe beim Schreiben weder an ‚Mad Max‘, noch an ‚Rebel without a cause‘ gedacht. Das Zombiegenre hat die Grundidee sicherlich stark beeinflusst. Hauptsächlich die Grundsituation, dass außerhalb gesicherter Zonen jeder Schritt der letzte sein kann. Belagerungssituationen fand ich aber schon immer interessant, und da gibt es viele Beispiele. Aber wenn man sich in einem oder mehreren Genres bewegt, wie hier Coming of Age-Drama und Endzeit/Survival-Genre, bleibt es nicht aus, dass man Elemente anderer Genre-Vertreter streift oder variiert, bewusst oder unbewusst. Ich glaube, dass jede Geschichte schon erzählt wurde. Wir Spätgeborenen können letztlich nur die alten Geschichten modernisieren und mit unterschiedlichen Perspektiven und Gewichtungen anreichern.

CL: Das Lager Siedlung 16 heißt Fort Apache und somit wie einer der wichtigsten Western von John Ford, in denen sich die Besatzung eines Außenpostens gegen Indianerangriffe erwehren muss. Habt Ihr auch diesen Hintergrund konkret im Sinn gehabt, und welche Parallelen seht ihr zwischen den Stories? Wir haben auch spannende Anklänge an die Carpenter-Variante des Stoffes, Assault on Precinct 13, gesehen…

BvE: Fort Apache ist eine Referenz an eine Referenz. Als Jugendlicher habe ich mal ein Interview mit dem Regisseur John Carpenter gelesen. Darin hat er seinen Film ‚Das Ende‘ (=Assault on Precinct 13) mit einem Western verglichen. Die von Gangs belagerte Polizeistation sei wie das Fort Apache in dem John Ford –Western ‚Bis zum letzten Mann‘. Die gesichtslosen mordenden Gangs sind die Indianer. Der Begriff ‚Fort Apache‘ bei mir als Inbegriff einer Belagerungssituation hängen geblieben. Den besagten Western habe ich bis heute nicht gesehen, dafür aber vielleicht einer der älteren Gründer der Siedlung. Den Spitznamen ‚Fort Apache‘ haben die Siedler also wegen der dauerhaften Belagerungssituation gewählt. Verlässt man das sichere Fort, ist man im „Indianergebiet“. Dann wird es gefährlich.

Comicfest SplashÄhnlich wie in diversen Western die Weißen im Indianerland ein befestigtes Fort als Vorposten ihrer Siedlungspolitik bauen, versuchen die Menschen in Gung Ho an die Reißer verlorenes Gebiet mit ihren Siedlungsprojekten zurückzuerobern. ‚Fort Apache‘, die Siedlung Nr. 16, ist eines dieser Siedlungsprojekte. Ich fand es realistisch und amüsant, dass Zivilisationsüberreste nicht nur in Form von Infrastruktur und Gebäuden vorkommen, sondern auch in popkulturellen Zitaten. Das betrifft den Namen der Siedlung, aber auch die Vergangenheit von Tanaka als Martial-Art-Star, Kleidung wie Archers Karate Kid T-Shirt, dass er extra zum Training anzieht, um den japanischen Trainer zu provozieren, das Sexy Beast T-Shirt, Musik etc.

CL: Beim Comic-Festival in München sasst Du bei unserem Interview mit Enrico Marini am Tisch. Woher kennt ihr euch?

TvK: Ich kenne und schätze Enricos Arbeit, seit ich mit dem Comiczeichnen begonnen habe. Persönlich getroffen habe wir uns auf dem Festival in Sollies Ville im Süden Frankreichs an der Côte d’Azur. Wir zeichnen beide Abenteuergeschichten und haben uns auf Anhieb gut verstanden.

CL: Gibt es schon einen Ausblick, was nach Gung Ho kommt? Eine weitere Zusammenarbeit mit Benjamin?

TvK: Es gibt verschiedene Ideen und Angebote, aber bis dahin ist ja noch genügend Zeit, das lasse ich in Ruhe auf mich zukommen.

CL: Herzlichen Dank!

(bw/hb)

 

Die Links zu den Rezensionen der beiden Gung Ho Bände auf comicleser.de (Klick auf das jeweilige Cover):

Gung Ho 1   Gung Ho 2

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