Avengers! X-Leute! Die Fantastischen Vier! Die Asen! Kurz gesagt, das ganze Marvel-Universum ist sauer. Und zwar mächtig. Auf eine Person. Wir wissen, das schafft nur einer: der unvergleichliche Wade Wilson, der mal wieder seine Klappe nicht halten kann und gerne den schnellen Reibach machen will. Kein Wunder, ist der ja hauptberuflich Söldner, und als solcher hat er einen ganz besonderen Auftrag: erst mal killt er genüsslich Sun Tzu Wu, der es irgendwie geschafft hat, seinen Herrscher, den König von Wu, gegen sich aufzubringen (vielleicht hätte er nicht dessen zwei Lieblingsfrauen umbringen sollen, aber lassen wir das). Passiert ist das während einer Vorführung zu Tzus Werk ‚Die Kunst des Krieges‘, in der Tricks und Finessen vorgestellt werden, mit denen jedermann ein toller Shogun sein kann. Deadpool, immer auf der Suche nach Ideen, die sich zu klauen lohnen, fasst einen husarenhaften Plan: er reisst sich das Manuskript unter die blutigen Fingernägel und bietet es einem Verlag an (die Frage nach dem irgendwie stattfindenden Zeitsprung stellen wir mal einfach nicht). Dort erfährt er allerdings nur, dass das schmale Bändchen sowieso schon zu einem veritablen Beststeller geworden ist und sich vor allem im modernen Wirtschaftsleben größter Beliebtheit erfreut – wer wissen möchte, wie Personalführung, Management und feindliche Übernahmen funktionieren, kurz wer etwas auf sich hält, der liest und zitiert Sun Tzu.
Aber Deadpool lässt sich nicht verdrießen, sondern zieht aus, um seine ganz eigene Version des Werks zu fabrizieren und diese dann gleich publikumswirksam im Livetest vorzustellen: nämlich in einem von ihm eigens angezettelten Krieg. Und wer würde sich dafür besser einspannen lassen als die ewig verfeindeten Königskinder aus Asgard? Also nichts wie hin zum vor sich grummelnden Loki, dem flugs gesteckt, wie er seinen Lieblingsbruder Thor am besten überrumpelt (Lektion von Herrn Tzu: Überrasche den Feind! – was hervorragend klappt), und gleich noch den alten Göttervater Odin selbst über den Tisch gezogen. Da sitzt nun also Loki auf dem Thron Asgards, am Ziel seiner Träume, aber Deadpool legt noch einen drauf und flüstert ihm ein, so richtig spaßig wäre doch jetzt noch die Eroberung von Midgard (in den Worten von Herrn Tzu: greife den an, der schwach ist). So ergießt sich eine Legion von degenerierten Halbwesen über die Erde, immer begleitet vom Söldner, der fleißig auf dem Laptop mitschreibt. Das alles lassen sich Earth’s Mightiest Heroes aber natürlich nicht kampflos bieten: sämtliche kostümierten Recken stemmen sich der Invasion entgegen, allen voran ein Herrn in lila Unterhosen, der Loki mal ordentlich zeigt, wo der Hammer hängt. Als dieser seinem Hauptberuf als Lügner und Täuscher gerecht wird und auch Deadpool hinters Licht führen will, wechselt dieser schnell die Seiten und reiht sich in die Phalanx der Verteidiger von Midgard ein – dumm halt nur, dass die schnell herausfinden, wer an dem Schlamassel schuld ist…
Vor dem durchgedrehten Söldner mit losem Mundwerk und Selbstheilungskraft scheint mittlerweile nichts und niemand gefeit – aber die Idee, dass Mr Wilson seine eigene Fassung eines der bekanntesten Management-Bücher überhaupt liefern möchte, mutet auch in seinem Universum durchaus phantasievoll an. Geschickt drückt er bei Held und Bösewicht gleichermaßen die richtigen Knöpfe, packt Loki an dessen Rachsucht und Thor bei dessen leichtsinnigem Hochmut und lässt beide nach seiner Pfeife tanzen, bis sich auf der Erde schließlich alles und jeder aus dem bekannten Marvel-Universum ins Getümmel stürzt – neben Red Skull, Doctor Doom und Mole Man gibt sich vor allem Prinz Namor die eindrucksvolle Ehre. Die sonst bei Deadpool durchgängige, satirische Reflektion über das Medium Comic wird hier ersetzt durch die permanente Referenz auf die literarische „Vorlage“ von Sun Tzu, dessen Weisheiten rege zitiert als Kommentar des Geschehens herhalten müssen.
Intermedial geht Peter David weniger auf andere Comics als auf das filmische Marvel-Universum los: da prügelt der Hulk den verblüfften Loki nach allen Regeln der Kunst in Grund und Boden, was im ersten Avengers-Film ja zu diversen Lachstürmen führte, und auch ein direktes Dialogzitat darf nicht fehlen – als Thor feststellt, Loki habe doch eine ganze Armee, kontert Deadpool gelassen in den Worten des Kino-Tony Stark: „Aber wir haben einen Hulk!“ Die gestelzte Sprache der Asen gibt Anlass zu diversen ironischen Scharmützeln, denn wer will schon mit „ihr“ angeredet werden, wenn man doch nur eine einzige Person ist? Ordentliche Seitenhiebe gibt es dann auch aufs Verlagswesen an sich: Deadpool freut sich schon über seinen Buchdeal, als ihm eröffnet wird, dass er für die Veröffentlichung natürlich zahlen müsse. Worauf der nichts Besseres zu tun hat, als mit seiner Idee zum Marvel-Verlag zu rennen, wo ihn die klar erkennbaren Herren Straczynski und Fraction mit offenen Armen empfangen. Zeichnernisch präsentiert sich der Band, dem Inhalt passend, im abstrahiert, leicht undergroundigen Stil, wodurch Scott Koblish eine durchaus beachtliche Bandbreite demonstriert (wie anders er kann, zeigt er z.B. in ‚Deadpool: Draculas Braut‘). Flott erzählt, mit einem ausladenden Staraufgebot und mit der Respektlosigkeit, die wir von Herrn Wilson erwarten. Der vorliegende Band versammelt die US-Miniserie ‚Deadpool‘s Art Of War‘, die im Original von Dezember 2014 bis März 2015 erschien. Und zur Comic Action in Essen veröffentlichte Panini ein auf 555 Stück limitiertes Variant. (hb)
Deadpool: Die Kunst des Krieges
Text: Peter David
Bilder: Scott Koblish
100 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
12,99 Euro
ISBN: 978-3-95798-404-3