Spider-Man: Erste Schritte (Panini)

Juli 9, 2015

Marvel Exklusiv 114: Spider-Man - Erste Schritte (Panini)

Teenager-Nerd, Klassenprimus, wird in der Schule gehänselt, im Sport eine Null, keine Freunde. Wird von radioaktiv verseuchter Spinne gebissen, Kräfte gehen auf ihn über, er macht einen entscheidenden Fehler und lernt die Weisheit des großen Zen-Meisters Stanley Lieber: Mit großer Kraft kommt große Verantwortung. In dieser Form in Rückblicken, Nacherzählungen oder Variationen schon hunderte Male gesehen, gehört und gelesen, gehört die Spidey-Entstehungsgeschichte zu den wohl bekanntesten der Comic-Historie. Die Grundsatzherausforderung von Origin-Stories stellt sich damit beim Wandkrabbler in verschärfter Form: welche neuen Facetten lassen sich dem von Stan Lee, Steve Ditko und John Romita erschaffenen Gebäude noch hinzufügen, ohne sich allzuweit zu entfernen, aber dennoch ausreichend kreativen Spielraum zu gewinnen? Dan Slott (Silver Surfer) schafft das durch gleich zwei elegante Kunstgriffe: erstens siedelt er seine Geschichte kurzerhand zwischen dem ersten Auftritt des Netzkopfs in Amazing Fantasy 15 von 1962 und seinen sattsam bekannten weiteren Abenteuern an. Das funktioniert und ist z.B. in den Star Wars-Comics bestens erprobt. Und zweitens nutzt er diese neue fiktive Zeit, um einen Charakter einzuführen, den es in der bisherigen Mythologie zwar nicht gibt, der aber in der besten Tradition des Spidey-Schurken-Universums steht: Clayton Cole, ein Spiegelbild von Peter Parker, wissenschaftsbegeistert und weitgehend antisozial.

Allerdings ist Cole im Gegensatz zu Peter gut situiert hat genügend finanzielle Mittel, um seiner Begeisterung für Spider-Man auch Gestalt zu geben, der allerdings in erster Linie zum neuen Medienheld avanciert. Denn obwohl Peter sich wegen des von ihm verschuldeten Tod seines Onkels Ben massive Vorwürfe macht, muss er, um die Rechnungen und Hypotheken zu bezahlen, möglichst schnell Geld auftreiben – was sein Agent Maxi Schiffman nur allzu gerne über spektakuläre Fernsehauftritte liefert. Gleichzeitig fühlt sich Cole auch als Macher des Phänomens Spider-Man – immerhin hat er den legendären Kampf gegen den Wrestler Crusher Hogan auf dem Handy gefilmt, auf seiner Website gepostet und damit erst die allgemeine Spidey-Mania angeheizt. Während Peter in der Schule zunehmend abbaut, sozial immer weiter isoliert ist und in psychologischer Behandlung nie seine wahren Dämonen beschreiben kann, bucht Cole sein Alter Ego Spider-Man (gegen ausreichende Bezahlung, versteht sich) zu einem Kampf mit seiner eigenen Superhelden-Identität: als Clash, König der Klänge, kann er dank technischer Aufrüstung Geräusche aufnehmen, sampeln und dann hundertfach verstärkt wieder zurückwerfen. Während des Kampfs, der natürlich in einem gloriosen Sieg Coles enden soll, platzt Spidey der Kragen, er demütigt Clash und lässt ihn im Netz eingewoben buchstäblich hängen.

Schockiert von der Tatsache, dass Tante May ihn verdächtigt, Drogen zu fabrizieren und zu verkaufen (warum sonst ist er immer müde, hat ein kleines Chemielabor in seinem Zimmer und ist andauernd nachts verschwunden?), findet Peter eine alternative Geldquelle: mit der alten Pocketkamera seines Onkels beginnt er, spektakuläre Fotos von Helden und Schurken aufzunehmen und diese an Jameson zu verscherbeln, der im Daily Bugle gerade seine Hetzkampagne gegen Spider-Man startet. In der Schule findet er Anschluss an eine Gruppe von Wissenschafts-Eierköpfen, er beginnt aussichtsreiche Praktika, und sogar eine kleine Romanze scheint sich anzubahnen. Alles scheint somit gut – aber Cole lässt die Erniedrigung nicht auf sich sitzen, er attackiert eine Wissenschaftsausstellung, auf der auch Tante May zu Besuch bei ihrem Schützling ist. Als ihn der Daily Bugle daraufhin als einen Nachahmer Spideys verhöhnt, greift er auch die Redaktionsräume an und hinterlässt dort einen geschlagenen Spider-Man, der endgültig die Welt nicht mehr versteht: auch Tante May sieht im Netzschwinger einen bedrohlichen Halunken, seine Freunde wenden sich aufgrund einer Intrige von Flash Thompson von ihm ab, und seine Widersacher schlagen ihn mit den eigenen Waffen. Da bringt Tante May ihrem verwirrten Ziehkind schließlich die erlösende Botschaft: Onkel Ben legte nicht nur Wert auf großes Herz und Verantwortung, sondern auch auf – Humor. Und mit diesem in Form eines lockeren, nie um Sprüche verlegenen Mundwerk bewaffnet, besiegt Peter Parker nicht nur Clash, sondern auch seine inneren Dämonen und schwingt in die allseits bekannte Zukunft…

Die HC-Version: 444 Exemplare

Die HC-Version: 444 Exemplare

Mit Clash führt Dan Slott ein spannendes Zerrbild von Peter Parker ein und baut somit eine durchaus vielschichtige Variante der Entwicklung von Spider-Man zum zwiespältigen Helden auf: materiell betucht, von den Eltern umsorgt, geht es Clayton Cole nur um Ruhm, um Bekanntheit und möglichst viele Klicks auf seiner Website. Die technische Basis seiner Kräfte steht in bester Tradition von Spinnenfeinden wie Elektro, Doc Ock oder dem Grünen Kobold, und die immer weiter eskalierende, schließlich auch Peters Privatsphäre betreffende Spirale der Gewalt stellt seit jeher ein Kennzeichen des Spinnenuniversums dar. Auch wenn die letztendliche Auflösung von Peters Nöten – er muss die Sache nur mit Humor nehmen und Spaß daran haben, Lumpensöhne zu vermöbeln, und schon läuft alles bestens – die Schwere der Krise nicht unbedingt glaubhaft zu lindern vermag, schafft es Slott durch geschickten Einsatz von bekannten Charakteren und Szenen, einen faszinierenden Wechsel zwischen seiner Storyline und dem gültigen Kosmos zu schaffen.

So werden diverse Szenen aus den frühen Geschichten – so etwa Peters vergeblicher Versuch, sich den Fantastischen Vier anzuschließen, seine erste Begegnung mit dem Geier oder auch eine Wohltätigkeitsvorstellung des Eisernen, bei der Tony Stark eine Kanonenkugel zermalmt und dann die Stücke an Kinder verteilt – in Wort und Bild zitiert, wodurch die neue fiktive Ebene in die dem Leser geläufige Welt eingebettet ist. Wie in einem historischen Roman entsteht somit eine private, nicht verankerte Handlung vor einem großen, verbürgten Kontext, in dem sie sich spiegelt und neue Aspekte bringt (schön z.B. auch die Szene, in der Clash die Sprechblase des allerersten Spidey-Auftritts nur leicht modifiziert zitiert: „Die Welt mag Clayton Cole nicht kennen, aber sie wird bald sprechen über… Clash!“, was seine Eigenschaft als negativer Spidey-Spiegel unterstreicht). Optisch besticht die Gestaltung von Ramón Pérez (der ja auch die faszinierende Jim Henson-Adaption ‚Tale Of Sand‘ bebilderte) durch eine enge Anlehnung an den Stil der frühen Spider-Man-Abenteuer, als Steve Ditko die Erscheinung des Netzkopfs entscheidend prägte (mit den charakteristischen kleinen Augenschlitzen in der Maske, von denen ja später ein Todd McFarlane ganz bewusst extrem abwich). Schick auch die optische Widergabe der gesampelten und als Waffe genutzten Worte sowie die letzte Doppelseite, die einen befreiten Spider-Man in ein breites Panorama künftiger Figuren und Ereignisse entlässt.

Eine feine, für sich allein bestens funktionierende, abgeschlossene Miniserie, die in den USA unter dem sehr treffenden Titel „Learning To Crawl“ 2014 als Start der Amazing Spider Man-Serie bei Marvel Now! erschien und bei uns als Nummer 114 der langlebigen Reihe Marvel Exklusiv veröffentlicht wird, von der Panini wie immer eine auf 444 Stück limitierte Hardcover-Ausgabe speziell für Sammler auflegt. (hb)

Marvel Exklusiv, Band 114: Spider-Man – Erste Schritte
Text: Dan Slott
Bilder: Ramón K. Pérez
124 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
14,99 Euro

ISBN: 978-395798-322-0

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