Der Fall E.P. Jacobs (Carlsen)

Mai 26, 2014

Der Fall E.P. Jacobs

Edgar Pierre Jacobs? Klar, kennt man als interessierter Comicleser. Der hat Blake und Mortimer geschrieben und gezeichnet. Und war Opernsänger. Aber wie passt das denn zusammen? Macht das nicht neugierig? Was für ein Leben führte der Mann, der zwei so künstlerische und doch völlig unterschiedliche Berufe hatte? Eine neue Comic-Biographie bringt Licht ins Dunkel und deckt dabei das ganze Leben des berühmten Zeichners ab – ähnlich wie wir das schon von „Die Abenteuer von Hergé“ kennen.

Jacobs wurde 1904 in Brüssel geboren und interessierte sich schon bald für das Zeichnen und klassische Musik. Wenn man so will, fuhr er schon sehr früh ‚zweigleisig‘. So besuchte er in jungen Jahren Opern oder das Kino (Das Cabinet des Doktor Caligari). Dann startete er als Komparse im Theater und zeichnete u.a. Kaufhauskataloge. Ende der Zwanziger Jahre schien es als würde er sich für den Gesang entscheiden. Er bekam ein Engagement an der Oper in Lille als Bariton. Dort ließ er sich auch mit seiner Frau nieder. Nach der Rückkehr ins von den Deutschen besetzte Brüssel gingen kriegsbedingt die Anstellungen an der Oper zu ende. Völlig überraschend, quasi aus dem Stand heraus bekam er einen Job bei einer Jugendzeitschrift, wo er erstmals mit dem Comic in Berührung kam: nach Ausbleiben des US-Materials übernahm er Flash Gordon und kreierte anschließend, auch aus der Not heraus, mit „Die U-Strahlen“ (erschien 1992 bei Carlsen erstmals auf Deutsch) einen Flash Gordon Klon. Dann traf er Hergé und kolorierte einige seiner Tim und Struppi Alben. Nach dem Krieg wurde Tintin gegründet, jenes legendäre Comic-Magazin, das Heimat von Tim und Struppi wurde. Dort erschien auch erstmals Blake und Mortimer und wurde schnell ein großer Erfolg (Blake und Mortimer, Jacobs‘ Helden, das sind der Chef des britischen Geheimdienstes und ein Atom-Physiker. Ihr Gegenspieler ist Colonel Olrik). Die Zusammenarbeit mit Hergé ging in die Brüche – Jacobs verlangte als Co-Autor genannt zu werden, nachdem er immer stärker in den Schaffensprozeß involviert war. Er widmete sich jetzt nur noch dem Comic, seine Serie etablierte sich. Wir begleiten ihn auf seinen Recherchen (er besuchte gerne die Orte, an denen seine geplante Geschichten spielten) und bei seinem Lebensabend, der auch – wie bei Hergé – von Depressionen geprägt war. Mit Jacobs Gesundheit stand es nicht mehr zum Besten, er gab das Zeichnen auf, lebte einsam und zurückgezogen in seinem Haus 20 km vor Brüssel. Dort starb er am 20. Februar 1987. Blake und Mortimer zeichnete und textete er von 1946 bis 1971. Es entstanden zehn Alben, eines davon unvollendet.

Während Hergé als Schöpfer des Ligne claire Stils gilt und komische Elemente (und einen sprechenden Hund) in seine Comics integrierte, brachte Jacobs der Ligne claire detaillierten Realismus bei (wobei er auch auf SF-Elemente zurückgriff). Eine gewagte These: Hergé erfand den Ligne claire Stil, Jacobs machte ihn erwachsen. So musste der künstlerische Output Jacobs‘ den aufwendigen Vor-Ort-Recherchen und dem hohen realistischen Zeichenaufwand Tribut zollen (Das Album „Die teuflische Falle“ durfte aufgrund von – aus damaliger Sicht – realistischer Gewaltdarstellung nicht in Frankreich erscheinen). Nur zehn Blake und Mortimer Alben in knapp 25 Jahren. Ein überschaubares Werk, das trotzdem zum Klassiker wurde. Qualität setzt sich eben durch. Dabei gilt die Serie nicht als Konkurrenz von Tim und Struppi, auch wenn das Hergé in dem Band durchaus anders sieht.

Die Biographie zeichnet die wichtigsten Stationen und (bekannten) Episoden in Jacobs‘ Leben nach. Auch seinem Freunden, Mitstreitern bei Tintin, wie Jacques Laudy und Jacques van Melkebeke, deren Aussehen für Blake und Mortimer Pate stand, wird Platz eingeräumt. Der Band bleibt stets sachlich, ist nicht spekulativ und interpretiert kaum. Er hält sich an bekannte Fakten und wirkt dabei überraschenderweise kein bißchen langweilig. Natürlich sollte man sich für das Sujet interessieren, aber genau wie bei der Comic-Biographie über Hergé wird der Leser bestens unterhalten und dabei mit wertvollen Informationen über einen klassischen Autor des frankobelgischen Comics versorgt. Die Zeichnungen bestehen aus großen, realistischen Panels und können eine Verwandtschaft mit dem Ligne claire Stil nicht leugnen. Dabei lassen sich viele Details entdecken – so steht bei einem Treffen mit Hergé eine Flasche Loch Lomond Whisky im Bild, das Leibgetränk Kapitän Haddocks. Und das opulente Cover mit seinen zahlreichen Anspielungen auf Jacobs‘ Werke, macht Fans sofort neugierig. Ein längeres Interview mit Rodolphe, das von Skizzen- und Seitenentwürfen begleitet wird, rundet den dicken Softcover-Band ab.

Jahre nach seinem Tod wurde Blake und Mortimer wiederbelebt (Jacobs hatte nichts Gegenteiliges verfügt) und erfolgreich von anderen Zeichenteams fortgeführt. Die Alben, die alle den Geist der klassischen Geschichten atmen, werden dabei von Hochkarätern wie André Juillard, Jean van Hamme oder Yves Sante gestaltet. Gerade ist Band 19 (Die Septimus-Welle) erschienen und bei Salleck ein schöner von Andre Juillard gestalteter Sonderband (Das letzte Kapitel), in dem sich die gealterten Helden noch einmal zu einem gemeinsamen Abenteuer zusammenfinden. (bw)

Der Fall E.P. Jacobs – Ein Leben für den Comic
Text: Rodolphe
Bilder: Louis Alloing
112 Seiten in Farbe, Softcover
Carlsen Verlag
19,90 Euro

ISBN: 978-3-551-78626-5

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