Contrapaso (Splitter)

Februar 25, 2022
Contrapaso (Splitter Verlag)

Madrid 1956: der knorrige alte Falangist (also Sympathisant mit den anfänglichen faschistischen Ideen) Emilio Sanz arbeitet als Lokalreporter bei der Zeitung La Capital. Er ist zutiefst systemkritisch und weiß, dass die herrschende Franco-Diktatur gerne mal angebliche Verbrecher hinrichtet, um den Eindruck der schönen neuen Welt nicht zu stören. In die passt es nämlich gar nicht, dass seit 1938 eine ganze Serie von Frauenmorden die Hauptstadt erschüttert, die immer wieder unter den Teppich gekehrt werden.

Als die nächste Leiche aufgefunden wird, macht er sich mit dem Neuankömmling Léon Lenoir, der aus Frankreich in die Heimat zurückgekehrt ist, ans investigative Werk, was ihm der Polizeiinspektor Casado allzu gerne ermöglicht. Prompt stellt man Ungereimtheiten fest: in den Körper der Leiche ist ein Gedicht von Sappho geritzt, und offenbar wurde die Arme lange vor ihrem Tod mit Elektroschocks und einer Lobotomie malträtiert. Die Wohnungsdurchsuchung des Opfers namens Rosa Saura offenbart ein Bild des Grauens: an der Wand steht geschrieben „Ich lebe in der Hölle“, und in den Habseligkeiten finden sich erotische Frauenfotografien, die die Fährte in Richtung des Krankenhauses San Carlos und den dort angestellten Krankenschwestern und Ärzten lenkt.

Sanz und Lenoir finden heraus, dass die konkurrierenden Ärzte Dr. Vallejo und Sarobe jeweils zweifelhaften Tätigkeiten nachgehen: Vallejo experimentierte offenbar in Konzentrationslagern und wollte beweisen, dass Kommunisten minderbemittelte Untermenschen sind, während Sarobe eine ungesunde Obsession mit körperlichen Deformierungen pflegt, die er im Zuge von rassenbezogenen Euthanasie-Theorien auslebt, während er in einer dubiosen Privatklinik reichen Damen gerne unter Einsatz von Drogen die Depressionen austreibt und auch operativ gegen „Verwirrungen“ wie lesbische Vorlieben vorgeht. Der Arzt Bastida schließlich, der eine Geburtsklinik betreibt, in der auffällig viele Kinder angeblich tot geboren werden und verschwinden, wird alsbald ermordet aufgefunden, nebst seiner Krankenschwester Juana, die seinerzeit auch Rosa ausbildete…

In einer spektakulären Mischung aus Detektivgeschichte, Psychothriller und historischem Zeitbild schildert Teresa Valero in dieser Graphic Novel das ganz düstere Kapitel, in dem Spanien sage und schreibe von 1936 nach dem anfänglich idealistischen Spanischen Bürgerkrieg (hier verkörpert in der Figur des desillusionierten Sanz) bis 1975 unter der Knute des faschistischen Diktators Francisco Franco stand. Für „Brot und Gesang“, der an Schildern und Fenstern propagiert wird, bezahlte man mit Repression, Terror und Willkür, weshalb die Mordserie natürlich erst einmal totgeschwiegen und umgedeutet wird.

Verwirrte Rassentheorien kommen in den widerwärtigen Praktiken der drei Ärzte ebenso zum Tragen wie das schamlose Ausnutzen des eigenen Vorteils: in der Geburtsklinik lässt man Kinder von minderjährigen Müttern verschwinden, um sie reichen Damen zu verkaufen. Mitten in diesem Gemengelange platzt der „hard boiled“ Journalist und im Grunde auch Detektiv Sanz, der versucht, seine Enttäuschung mit der Suche nach der Wahrheit zu heilen. Sein ungleicher Sidekick Léon – ganz klassisch gibt es hier ruppigen Umgang, aber letztlich doch Akzeptanz von Buddy Sanz – verkörpert selbst das Leitmotiv des Bandes: als Halbwaise, der in Spanien bei seinem Onkel, einem Armeeoffizier, aufwuchs, ist auch er eines der „Kinder der Anderen“, um die sich die Verschwörung maßgeblich rankt, deren Spur bis ins Gefängnis nach Malaga führt.

Packend, spannend, empörend, zeitgenössisch treffend (sehr amüsant z.B. die Szene, in der man in einer Tapas-Bar Garnelen isst und die Schalen einfach auf den Boden wirft, wie das Brauch ist, worüber Sanz sich massiv beklagt), so kommt diese Episode als Sittenbild aus einer vergessen geglaubten Welt, die aus heutiger Sicht ebenso irreal, aber damit umso bedrohlicher scheint wie das faschistische Griechenland in „Z“ von Constantin Costa-Gavras. Bleibt zu hoffen, dass wir noch mehr von Frau Valero zu sehen und lesen bekommen werden. (hb)

Contrapaso – Die Kinder der anderen
Text & Bilder: Teresa Valero
152 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
19,80 Euro

ISBN: 978-3-96792-173-1

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